Kapitel 1
- Pferdetrab oder Alltag -



Mit einem verkrampften Gesichtsausdruck fuhr er hoch. Für einen kurzen Moment lang behielt er seine Augen geschlossen und keuchte lediglich vor sich hin, mitten in die Nacht herein. Als er seine Augenlieder dann hochzog offenbarte ihm sich nicht viel mehr, als zuvor; ein endloses Schwarz. Es war dunkel in dem Raum, in dem er bis eben noch geschlafen hatte. Er hatte seine Vorhänge zugezogen, doch in dieser Nacht zeigte sich nicht mal der Mond am klaren Kabinett der Sterne, wobei selbst diese ihre Schönheit versteckten, für Menschenaugen zu weit entfernt. Einen weiteren Moment wartete er, bis sein Puls sich wieder beruhigt hatte, bis er begann darüber nachzudenken, warum er überhaupt erwacht war. Hatte er schlecht geträumt? Zumindest vermochte er nicht, sich an irgendetwas Derartiges zu erinnern. Oder vielleicht doch? Nur noch schleierhaft konnte er sich an einzelne Bilder erinnern, wenngleich diese seine Erinnerung auch nicht weiter stärken oder anregten und ihm selbst auch nicht halfen. Er sah lediglich Schwarz und spürte ein Gefühl. Ein Gefühl der Panik, als würde man ihn beobachten. Und auch mit diesem Gefühl im Körper war er aufgewacht; das begriff er bereits. Sollte er sich nun wieder schlafen legen? Oder wach bleiben?
Er schob seine Bettdeckte von seinen Beinen zur Seite seiner Schlafstätte und legte seine Beine daraufhin in einer schnellen Bewegung an die Bettkante. Nach einigen Augenschlägen des Abwartens – was auch immer er abwartete – stand er schließlich auf und versuchte sich erneut umzusehen, was aufgrund der Tageszeit unmöglich war. Den Weg zur Tür fand er noch, immerhin schlief er hier schon seit… Wie lange eigentlich schon? Schon als Kleinkind hatte er hier gelebt, erinnerte er sich. Nun lebte er immer noch hier, allerdings ohne die Menschen, mit denen er damals hier gelebt hatte. 
„Tja…“, hauchte er einsam in die Dunkelheit hinein, doch besann er sich schnell wieder dem Hier und Jetzt und tastete nach der Klinke, welche er mit einem einfachen Handgriff herunterdrückte und die Tür aufdrückte. Auf dem Flur war ein kleiner Lichtstrahl zu sehen, denn ein großes Fenster war am Ende des Ganges, durch welches immer Licht schien, sogar diese Nacht. Woher kam es eigentlich? Zwar überraschte es ihn, er interessierte sich jedoch nicht weiter dafür. Wahrscheinlich war nur sein Unterbewusstsein überrascht und er selbst, sein klares Denken, hatte sich überhaupt nicht darum gekümmert; es gar nicht richtig registriert oder als ganz normal abgestempelt. 
Leichtfüßig, aber irgendwie auch noch recht schlaftrunken taumelnd, bewegte er sich also durch den Flur, bis dieser in einen größeren Raum mündete, welchen er sein Wohnzimmer nannte. Nun etwas zügiger durchquerte er auch diesen Raum und öffnete eine kleine Tür in dessen Rücken. Ein weiterer, jedoch viel kleinerer, Raum offenbart sich, welchen er zögerlich betrat. Dort drinnen war kein Licht, lediglich eine fast runter gebrannte Kerze spendete dem Raum minimale Helligkeit. Nur die Umrisse konnte er erkennen. In dessen Mitte stand, neben der Kerze, auf einem Tisch eine kleine Schatulle. Er lief auf diese zu, und legte seine Hand darauf. Er spürte ein leichtes Glühen…

Und wachte auf. Es war hell, wie er schnell feststellte, nachdem er zuvor seine Augen mit seinen beiden Händen abgedeckt hatte; wahrscheinlich wollte er nicht gleich von dem Licht der Sonne erschlagen werden, aber ebenso hatte er sich gestreckt und seine Arme hatten dabei eine nützliche Position gesucht… Er blinzelte ein paar Mal, doch wie jeden Morgen gewöhnten sich seine Augen nach ein paar Wimpernschlägen an das alltägliche Sonnenlicht und er brauchte sie nichtmehr vor dessen Einfluss zu schützen. Er brummte, als er auf seine Uhr sah. Es war noch nicht allzu spät für ihn, er hatte also noch etwas Zeit, bevor er sich auf zur Schule machen würde. 
Saíji schmunzelte, als er diesen Gedankengang verfolgte. ‚Schule‘, wiederholte er sich. Dieses Wort trag eigentlich gar nicht auf die Lehrstätte zu, auf der er seinen Wissensdurst zu stillen vermochte; vielmehr glich diese einer Universität. Doch trotzdem verwendete er es immer wieder gerne, dadurch fühlte er sich ein klein wenig unwichtiger, was ihm sehr gut tat… 
Er war im Inbegriff der neue Arenaleiter der Stadt zu werden und studierte daher noch sein letztes Semester an der Twindrake-City-Universität zu Ende, um dieser Aufgabe gänzlich gewachsen zu sein. Dann würden er und sein Team aus Drachenpokémon die Nachfolge des Arenaleiters Lysander antreten, welcher gleichzeitig auch noch Bürgermeister der Stadt war. Diesen Posten würde Lysander wohl noch eine Weile behalten, da es weit und breit niemanden gab, der den Aufgaben dieser Arbeit gewachsen zu sein schien. Also musste der alte Mann herhalten, der mittlerweile bestimmt schon um die 65 Jahre auf dem Buckel hatte, was man ihm auch deutlich ansah. Trotzdem stand er, gleich einem Wahrzeichen, für die schon so alte Stadt und auch das bekam man überdeutlich zu spüren, wenn man sich nur in der Nähe des Arenaleiters und Bürgermeisters befand. Immer und überall sprach er von ‚seiner Stadt‘, preiste und lobte sie und berichtete von den neusten Fortschritten, die sie in jeglichen Gebieten gemacht hatten. Tatsächlich war er besonders stolz auf seine Lebenswerke in Twindrake City; der Universität und der Arena. Beides pflegte er soweit er konnte und wahrscheinlich würde er für dessen Erhaltung sogar sein Leben aufs Spiel setzen. Manchmal konnte man nur den Kopf schütteln über die Ansichten des alten Mannes, aber eins ließ sich nicht abstreiten: Sowohl als Bürgermeister als auch als Arenaleiter war er schlicht und ergreifend perfekt – er beherrschte sein Handwerk und so hatten es bisher auch nur knapp eine Handvoll Trainer geschafft ihm seinen Orden zu nehmen. Und trotzdem wollte er noch dieses Jahr zurücktreten und hatte Saíji als Nachfolger erwählt. Manchmal ging das Leben seltsame Wege…
Doch bevor das Leben seinen Weg weitergehen würde, würde er nun erst einmal aufstehen. Er musste erneut schmunzeln über seine gerissenen Wortspiele, schon so früh am Morgen noch dazu, und richtete sich jedoch schließlich auf. Dabei glitt die Decke von seinem Körper und er hüpfte förmlich aus dem Bett. Mit seinen 22 Jahren würde er nach Cheren der jüngste Arenaleiter Einalls werden, doch das stört ihn nicht; er sah es eher als Bestätigung seiner Arbeit an. Ein wenig schlaftrunken schlurfte er auf seine Zimmertür zu und schloss diese hinter sich, nachdem er den kurzen Gang betreten hatte. Er durchquerte diesen, kam auf der anderen Seite im Wohnzimmer an, bog nach links ab und betrat schlussendlich die Küche. Dort ging er zielstrebig auf die Kaffeemaschine zu und im Handumdrehen hatte er auch schon eine heiß dampfende Tasse voll mit Kaffee in der Hand, aus welcher er genüsslich einen Schluck nahm, während er dabei, den heutigen Tag freudig in Erwartung, aus dem Fenster blickte. 
Die Sonne musste schon vor mindestens einer Stunde aufgegangen sein, vermutet er nachdenklich, doch wollte er damit nicht weiter viele Gedanken verschwenden. Als er einen Kaffee ausgetrunken hatte – erstaunlich wie wach er sich auf einmal fühlte – ging er zurück in sein Schlafzimmer, wo er auch seine Kleider in einem großen Schrank aufbewahrte, und zog sich um. Er trug seine alltägliche Kleidung: Die dunkle, jedoch nicht schwarze, Jeans; ein rotes T-Shirt und darüber eine schwarze Stoffjacke, auf der ein weißen, großen Buchstaben der Spruch geschrieben stand ‚the die is not yet fallen‘, eine Weisheit, die er sich schon oft genug zu Nutzen gemacht hatte; ja, er lebte förmlich danach. Mit anderen Worten: Aufgeben passte Saíji so gar nicht in den Plan. 
Nachdem er auch aus dem Bad wieder aufgetaucht war; es war eine seltsame Angewohnheit von ihm, dass er dort immer etwas länger brauchte, um sich fertig zu machen; war er fertig. Erneut sah er auf die Uhr und stellte fest, dass er erst in einer halben Stunde an der Universität sein müsste; sein Weg dorthin war zu Fuß jedoch nur knappe zehn Minuten lang. 

Er runzelte die Stirn, steckte die Hände in seine Jackentaschen, wodurch der Aufdruck der Jacke leicht verdeckt wurde, und lief in Richtung Haustür. Lässig öffnete er sie, trat hinaus und ließ sie ebenso einfach wieder hinter sich zu fallen. Er drehte sich noch schnell um abzuschließen und lief dann einen kurzen, gepflasterten Weg durch seinen Vorgarten; wobei man die beiden Erdfelder mit Unkraut nicht wirklich als solchen bezeichnen konnte; hinaus auf die Straße. Dort bog er umgehend links ab. Nachdem er einige Meter zurückgelegt hatte bot sich ihm eine Seitengasse nach rechts an, in welche er eintrat. Nach ein paar Schritten stand er vor der Scheune – hier würden seine Pokémon schon auf ihn warten.
Saíji hielt nicht viel davon, die Pokémon in den für sie vorgesehenen Pokébällen aufzubewahren; für ihn waren sie mehr als nur ‚Taschenmonster‘, mit denen man gegen Freunde ‚spielen‘ konnte. Er öffnete das Tor und trat ein. Sogleich fiel dieses wieder hinter ihm zu, doch durch zwei großzügig gebaute Oberlichter in der aus Holz bestehenden Scheune fiel genügend Licht hinein, damit er sich gut zurecht fand. Auf einem Heuhaufen lag sein neustes, jüngstes Pokémon – es war ein kleines Dratini, aus Johto stammend, welches ihm sein Großvater vor ein paar Monaten zu seinem Geburtstag geschenkt hatte. 
„Guten Morgen, Riku“, begrüßte er das blaue Schlangenpokémon lächelnd und streichelte dem Drachen sanft über die Stirn, sodass er die beiden ‚Federn‘, die aus seinem Hinterkopf ragen – würden sie sich bald zu Flügeln entwickeln? – nicht berührte und das Dratini nicht verletzte. 
Doch er konnte nicht weiter auf das Pokémon eingehen, denn im Nacken spürte er bereits den Atem seines größten Pokémon; hinter ihm stand sein treuster Begleiter, welcher, wenn er noch weiter wachsen würde, bald einen Kopf größer war als Saíji selbst – Lin, sein Maxax, weiblichen Geschlechts. Damals, als Lin noch ein Milza war, hatte er es auf Route 9, nördlich von Twindrake City, auf dem Boden unter einem großen Baum liegen sehen; damals war er gerade mal vierzehn Jahre alt gewesen. Er hatte das Pokémon zu Lysander gebracht um es ihn seine Obhut zu geben, doch dieser hatte damals gesagt: „Saíji, vielleicht war das ein Wink des Schicksal. Vielleicht wollte er, dass du dieses Milza jetzt triffst… Gib ihm einen Namen, Saíji, und behalte es. Wer weiß, wozu dieser Fund gut sein wird.“ Daraufhin hatte er das breiteste Grinsen auf dem Gesicht, dass er jemals bei dem Bürgermeister gesehen hatte. Seitdem war er regelmäßig zu dem Arenaleiter gegangen und hatte ihm berichtet, was alles so mit ihm und Lin, wie er das Milza noch am selben Tag getauft hatte, passiert war; damals war er unglaublich stolz auf sein Pokémon – und auch heute hatte sich das nicht geändert; mit Lin verband den baldigen Arenaleiter etwas ganz besonderes. Sie war nicht umsonst sein stärkstes Pokémon. 
Er begrüßte seine langjährige Freundin fröhlich, drehte sich dann jedoch etwas nach links und erblickte einen weiteren Drachen der Einall-Region. Sein Duodino, Joker hatte er es genannt, lag mit geschlossenen Augen in einer gemütlichen, noch etwas dunkleren Ecke der Scheune und schließ offenbar noch tief und fest. Er lächelte dem Unlicht-Pokémon kurz zu, obwohl er sich bewusst war, dass dieses das gar nicht mitbekommen würde, und wand sich dann wieder seinem jüngsten Teammitglied zu – Riku. Er streichelte dem Dratini erneut etwas über den Kopf, was ihm wirklich gefallen zu schien, bis er sich fragte wo denn sein viertes und letztes Teammitglied abgeblieben war. Knarksel, der Boden-Drache aus Sinnoh, war das letzte Pokémon im Bunde und versteckte sich sicher noch hier irgendwo in der Scheune. 
„Yuvei?“, fragte Saíji in den Raum herein und nach ein paar Sekunden regte sich tatsächlich was. In der Dunkelkeit hatte er das Drachenweibchen gar nicht gesehen, als es regungslos nur einige wenige Meter von Joker entfernt gelegen hatte, allerdings schon wach. Wahrscheinlich nur zu faul, um aufzustehen – das kannte er gut. 
„Na ja…“, brummte er nachdenklich, bevor er sich an alle seine vier Pokémon wandte. „Ich muss jetzt los“, meinte er an Yuvei, Riku und Joker gewandt. Daraufhin drehte er sich um zu Lin. „Bist du bereit?“ Das Pokémon nickte, als hätte es Saíji verstanden. Er erwiderte die Geste, griff nach einem seltsam aussehenden Pokéball an seinem Gürtel, öffnete ihn und rief Lin zurück. 
Ein kurzer roter Lichtblitz hellte auf, umhüllte das Maxax für einen Moment, bildete dieselbe Form wie es und verschlang es schließlich inmitten des Pokéballs, bis nichts mehr von Lin übrig war. Daraufhin schloss sich der Pokéball; von selbst. 
„Bis später, meine Freunde“, meinte er ein letztes Mal an seine anderen drei Pokémon gerichtet und verließ dann mit wenigen Schritten die Scheune. Er lief die Seitengasse wieder hinauf und bog daraufhin links ab; also in die entgegengesetzte Richtung aus der er gekommen war. Es war halb neun; um viertel vor begann sein Tag in der Universität; er hatte die Zeit genau richtig im Auge gehabt. 

Nach einem nicht sehr langen Fußmarsch von knappen zehn Minuten war er an dem riesigen Gebäude angekommen. Es stand direkt neben der Pokémon-Arena; nur ein paar Meter weiter, und man stand vor dem noch viel größerem Gebäude, welches die Form zweier Drachenköpfe hatte. Doch heute verbrachte er seinen Tag nicht dort, sondern musste in der Universität pauken, also betrat er das große Gebäude mit leichten Schritten. Die elektronisch betriebene Glastür öffnete (und schloss) sich von selbst, als er auf diese zulief und als er in der Eingangshalle stand wurde er auf ein Neues, wie jeden Tag, von dem unglaublichen Komfort dieser Lehrstätte überwältigt. 
Direkt gerade aus sah man eine große Rezeption mit mindestens fünf arbeitenden Angestellten, die jedem Besucher, aber auch jedem Lehrling, Auskunft über alle möglichen Fragen zur Universität gaben. Darüber hing das Wappen der Universität an der Wand: Reshiram und Zekrom, ihre Hälse eng verschlungen. Um sie herum, ein Kranz aus Rosen, unter dessen unterstem Stück in schwarzen Lettern geschrieben stand: ‚Twindrake-Universität‘. Links und rechts neben der Rezeption führten große Rolltreppen hinauf auf die erste Etage, welche fast wie eine Galerie wirkte, denn sie war nicht geschlossen und man konnte von der Eingangshalle perfekt zu ihr hoch sehen. Überall standen Töpfe mit großen Pflanzen drinnen; hauptsächlich waren es Palmen aus Abidaya City importiert, von den Bioforschern der Universität – dort wimmelte es aufgrund der abiotischen Umstände nur so von diesen exotischen Pflanzen. Der Boden der Eingangshalle wirkte als wäre er verglast und sah man genau hin, bemerkte man, dass dem sogar so war – es gab genau genommen zwei Bodenschichten: Erst war da eine Schicht von blauem Untergrund, auf dem, einige Zentimeter Abstand jedoch dazwischen, eine weitere Schicht lag; nämlich Glas. Diese Konstruktion war eine ganz besondere, und so wie sie hier aufzufinden war, würde man sie in ganz Einall kein zweites Mal finden. Auf dem blauen Boden unter dem Glas war ziemlich mittig vor der Rezeption das Wappen der Pokémonliga Einall abgebildet, welche mit der Universität kooperierte. Am meisten beeindruckte ihn jedoch immer noch der kleine Sockel, inmitten dieser Eingangshalle, einige Meter vor dem Emblem der Pokémonliga. Auf ihm lag ein roter Stein, welcher von einer eckigen Glaskuppel geschützt war, sodass man ihn nicht berühren konnte. Wenn man auf ihn zu lief glaubte man, so erzählten es zumindest viele, Wärme und gleichzeitig aber auch Kälte zu empfinden. Er selbst, hatte dies noch nie verspürt. Der Stein hatte auf der Oberseite ein gezacktes Muster, was darauf schließen ließ, dass es eine zweite Hälfte zu ihm gab; diese hatten die Untergrundforscher der Universität jedoch noch nie gefunden. Auf diesem Sockel stand auf einem goldenen Schild in schwarzen Buchstaben ‚Der ewige Stein des Gegenteils‘ – nie hatte Saíji verstanden, was genau damit gemeint war; niemand schien dies so genau zu wissen, es hatte auch noch nie jemand gefragt, wer den Stein mit dieser Aufschrift versehen hatte; offenbar akzeptierte es jeder so wie es war… 
War er ehrlich zu sich selbst, musste auch er sich gestehen, dass er nicht wirklich das Verlangen spürte, mehr darüber herauszufinden.
Ehrfürchtig lief er auf den Stein zu, drehte dann jedoch ein paar Meter zuvor nach links ab und nahm die Rolltreppe nach oben. Die obere Etage war etwas unspektakulärer, ein paar Tische und Stühle, an denen ein paar Stunden saßen und große Wälzer durchlasen oder einfach paukten; ein paar Palmen aus Abidaya und schließlich noch vier Aufzüge an der hinteren Wand – auf dem Boden jedoch erneut das Emblem der Pokémonliga Einall. 
Ohne weiter zu Zögern lief er auf einen der Aufzüge zu, vor dem bereits zwei weitere Leute warteten, die er jedoch nicht kannte – sie waren noch etwas jünger als er, vielleicht gerade achtzehn geworden. Geduldig wartete Saíji auf den Aufzug, bis dieser ankam, seine Türen öffnete und die drei Wartenden hinein traten. Links und rechts waren lediglich normale, beige Wände; rechts war wohlgemerkt noch das Armaturenbrett mit den Knöpfen mit denen man das angesteuerte Stockwerk auswählen konnte. Die gegenüberliegende Front jedoch war mit einem riesigen Spiegel versehen, die komplette Seite des Fahrstuhls abdeckte. 
Kritisch betrachtete Saíji seine Wenigkeit im Spiegel – seine braunen, mittellangen Haare langen gleichmäßig auf seiner Stirn, waren jedoch modisch nach links gekämmt, während die Seiten beide leicht nach vorne zeigten; diese Frisur hatten derzeit viele Menschen, sie schien sehr modern zu sein. Er trug sie jedoch nur, weil sie ihm gefiel, auf die neusten Trends gab er für gewöhnlich nicht viel. Seine leicht gebräunte Haut, an der man erkannte, dass er hin und wieder einen kurzen Strandurlaub in Abidaya City machte, konnte man nur im Gesicht, an den Händen und am Hals sehen, alles andere wurde durch seine, der Jahreszeit angepassten, Kleidung abgedeckt. Nicht mehr lange, dann war der kalte Frühling vorbei, und es würde warm werden. Gestern hatte er im Wetterbericht mitbekommen, dass es im Süden bei Eventura City bereits warm war und die Wärmewelle in den nächsten Tagen auf hoch in den Norden kommen sollte; darauf freute er sich schon. Denn morgen war auch schon Wochenende, dann konnte er zwei schöne Tage mit seinen Pokémon draußen in der Sonne, an der frischen Luft, verbringen und etwas mit ihnen trainieren – er liebte es, Pläne zu schmieden. 
Abwesend drückte er den Knopf für die dritte Etage, die beiden anderen mussten noch vier Stockwerke weiterfahren, direkt in das siebte Stockwerk. Höher ging es auch nicht, danach gab es nur eine kleine, altmodische Treppe auf die Dachetage, wo für gewöhnlich keine Unterrichtsstunden oder ähnliches stattfanden. 
„Dritter Stock – Biologie, Physik und Geschichte“, ertönte eine Frauenstimme aus dem Lautsprecher an der Decke und die Fahrstuhltür schob sich beiseite, sodass Saíji hinaustreten konnte. 
Ein großer Flur offenbarte sich ihm, doch selbstverständlich wusste er genau wo er lang musste; immerhin studierte er hier schon seit mehr als einem Jahr. Er hatte im ersten Tagesblock Geschichte, ein Fach, dass er besonders mochte. Sein Studium war etwas anderes, als die anderen. Aufgrund seiner baldigen Berufung als Arenaleiter spezialisierte er sich nicht auf ein Fachgebiet sondern hatte weiterhin verschiedene Fächer, wie damals in der Schule. Das war auch der Grund, warum er die Universität manchmal in Nostalgie schwelgende als Schule bezeichnete. 
Ein paar Augenblicke war er bereits an seinem Raum angekommen. Er blieb kurz davor stehen, atmete kurz durch, legte sich seine Haare mit einer gekonnten Handbewegung zurecht, griff nochmal kurz nach Lins Pokéball, um zu sehen, ob sie noch da war und trat dann ein. Es waren noch nicht alle Studenten da, die diesen Kurs belegten, aber die Leute die er suchte, fand er unter dem knappen Dutzend Menschen recht schnell. Zielstrebig machte er ein paar Schritte auf seine beiden Freunde zu; Heiji und Yuki, die Beiden warteten scheinbar schon auf ihn. 
„Guten Morgen, Saj“, begrüßte Yuki ihn freundlich mit seinem Spitznamen und öffnete ihre Arme für eine Umarmung, auf die er flüchtig einging. 
„Hey“, meinte auf Heiji beiläufig, er schien mit etwas beschäftigt zu sein, in seiner Hand hielt der Mann mit den blonden, kurzen Haaren einen kleinen Stapel an Papier, dessen oberstes Blatt er scheinbar aufmerksam durchlas. 
„Hallo“, erwiderte Saíji den Gruß der beiden freundlich.
„Na, Blauauge, wie geht es Lin und Co?“, fragte Yuki neugierig. Sie nannte ihn oft ‚Blauauge‘, weil seine Augen wirklich ungewöhnlich ausgeprägt blau leuchteten, fast schon unheimlich; es war eine seiner bekanntesten und wichtigsten Merkmale, scheinbar. Für seine Pokémon interessierte sich die 21-jährige auch sehr, da sie Pokémon allgemein sehr liebte. Sie selbst hatte leider noch kein Pokémon gefangen, sie hatte bis jetzt einfach noch nicht das Glück gehabt dem richtigen Partner zu begegnen, hatte sie sich dazu geäußert. 
„Ach, denen geht es gut. Ich glaube Joker ist auf dem besten Weg sich bald zu entwickeln, sein Körper sieht unglaublich stark und kräftig; irgendwie habe ich da so eine Vorahnung“, meinte er lächelnd. 
„Wirklich? Na, dann hast du bald einen riesigen, dreiköpfigen Drachen in deiner Scheune rumfliegen – Glückwunsch“, fügte sie letzteres noch scherzhaft hinzu und schon begannen die beiden zu lachen; sie waren wirklich sehr gute Freunde. 
„Und bei dir ist alles klar, Yuki?“, fragte Saíji höflich, obwohl die Frage mehr rhetorisch gemeint war; Yuki konnte sich nicht beschweren. Sie lebte noch bei ihren Eltern, allerdings ging es ihr dort mehr als gut. Das rothaarige Mädchen mit den funkelnden braunen Augen hatte einen sehr reichen Vater, welcher für eine bekannte Firma in Stratos City arbeitet; dementsprechend ging es ihrer Familie immer sehr gut. Sie hatte quasi eine eigene Wohnung für sich, mit eigenem Badezimmer. Lediglich eine Küche fehlte ihr, doch bis zu Mutters Küche waren es nur wenige Schritte; bei ihr raus, in den Keller rein, diesen hoch und schon war sie da; und ihre Mutter kochte jeden Abend für sie. Der einzige Nachteil daran war, wie man es von diesem Familien eben kannte, dass ihr Vater praktisch nie zu Hause war; nur jedes zweite Wochenende war er da, blieb dann allerdings immer bis Mittwochmorgen; dann musste er wieder weg. Es war manchmal nicht einfach gewesen für Yuki, als sie noch ein Kind war, ohne ihren Vater zu leben, aber sie hatte sie damit abgefunden. 
„Natürlich, mir geht’s gut“, meinte sie und setzte sich an ihren Platz. Offenbar hatte sie gerade nicht sonderlich großes Interesse daran, sich weiter mit Saíji zu unterhalten, also wand dieser sich seinem besten Kumpel zu. 
„Hey, Heiji, würdest du den interessanten Wisch da vielleicht nur mal kurz weglegen? Danke“, meinte er lachend und sah seinen Freund an. 
Dieser machte nicht die Anstalt dem nahgelegten Rat seines Sandkastenfreundes zu folgen, jedoch zog er eine Augenbraue hoch um Saíji zu mustern.
„Kämm dir mal ordentlich deine Haare“, brummte er und wand sich wieder seinem Papier zu. Er versuchte sich sein Lachen zu verkneifen, doch er schaffte es nicht lange, es zu unterdrücken. Nach ein paar Sekunden der Beherrschung huschte ihm erst ein kurzes Lächeln über die Lippen, bis er eine weitere Sekunde darauf lauthals zu Lachen begann. 
„Schon klar, Heiji“, meinte Saíji augenrollend und hob seine Hand. Sie klatschen ihre Hände aneinander und legten kurz den jeweils anderen Arm umeinander, wie sie sich für gewöhnlich immer begrüßten. Heiji war schon seit er drei Jahre alt war mit Saíji befreundet und bisher konnte er auch immer auf den ursprünglich aus Sinnoh stammenden jungen Mann verlassen. 
Die beiden unterhielten sich noch eine Weile über Pokémon und irgendeinen Technikkram, von dem die meisten anderen wahrscheinlich nichts verstehen würden – Heiji und Saíji kannten sich auf diesem Gebiet unglaublich gut aus – bis schließlich der Kursleiter nach einigen Minuten den Saal betrat und die heutige Vorlesung begann. Thematik des Unterrichtblockes waren Terrakium, Viridium und Kobalium. 

„Damals, bei einem Brand im Ewigenwald, wären unter normalen Umständen hunderte von Pokémon und mindestens ebenso viele Menschen ums Leben gekommen; niemand weiß, wie das Feuer damals entstanden ist, doch um die Rettung des Waldes und seiner Umgebung rankt sich eine schon ewig weitererzählte Legende über die drei Musketierpokémon; Terrakium, Viridium und Kobalium. 
Man sagt, dass damals Viridium mit seiner grazilen Geschwindigkeit die im Wald lebenden Pokémon vor dem zerstörerischen Funkenflug gerettet habe.
Terrakium soll sich hingegen damals seine Stärke zu Nutzen gemacht haben um herabstürzende Felsen wegzureißen, welche den Fluchtweg versperrt hatten.
Das letzte im Bunde, Kobalium, soll letzten Endes als ältestes der drei Pokémon alle im Wald lebenden Pokémon aus dem Wald und dem Feuer hinausgeführt haben und ihnen einen neuen Lebensraum geschaffen haben.
Heute wacht Viridium jedoch noch als einziges der drei über den Ewigenwald; was mit Terrakium und Kobalium passierte weiß niemand so genau. Legenden sagen dass das legendäre Pflanzenpokémon noch heute an einem Ort namens ‚Feld der Besinnung‘ aufzufinden sei“, der Kursleiter machte eine kurze Pause in seiner Erzählung. „Wer weiß, vielleicht findet ja irgendwann einer von ihnen den Weg zu ihm?“

Nach dem Geschichtsblock und zwei Biologieblöcken, wo der Kurs gemeinsam die Lebensweise von in freier Wildbahn existierenden Efoserp besprochen hatte, neigte sich der Tag dem Ende zu und ohne sich noch etwas weiteres vorzunehmen suchte Saíji den Heimweg auf. Dort angekommen klang sein Tag wie üblich aus, er aß zu Abend, besuchte nochmal seine Pokémon und brachte auch Lin zurück in die Scheune und ließ den vier Drachen Futter da. Irgendwann ging Saíji dann wie gewohnt schlafen, mit der Hoffnung auf ein wenig Sonne am morgigen Tag – er freute sich, ihn mit seinen Pokémon verbringen zu können.

Heute war es anderes. Wie immer warf mich das Erscheinen meines allzu alltäglichen Raumes aus der Bahn, doch es fühlte sich anders an. Ich konnte heute festmachen, dass ich nun eingeschlafen war. Und nicht aufgewacht bin. Tatsache. Könnte ich, hätte ich wohl ein Lächeln sehen lassen, doch so blieb es nur dabei, dass meine Gedanken durch diese unendliche, schwarze Welt reisten und sich von Ort zu Ort begaben, auf der Suche nach Sinn. 
Wider meines Erwarten jedoch lief ein entscheidender Fakt heute überraschend anders… Ich erinnerte mich. Ich erinnerte mich an meinen Willen, diesen Raum zu verlassen. Ich erinnerte mich aber auch an meinen Willen, ihn zu erkunden. Wie man es von meiner Spezies wohl kennt, übertraf die Neugier auch hier meine Vernunft, und ich begann in den Tiefen des Schwarzes nach Antworten für meine Fragen zu suchen.

Lange noch streifte ich umher, bis mich wieder dieses Gefühl überkam. Nein, dies war gar kein Gefühl; ich fühlte ja nicht. Dieses Mal dachte ich nur. 
Mein Denken, welches wohl bemerkt nicht weiter als in eine Sackgasse und wieder hinaus auf den Weg, wo nur tausende weitere auf meine verlorenen Gedankenfetzen warteten, verließ mich jedoch, als sich das Schwarz wieder aufzulösen begann. Übrig blieb erneut eine an ein Augenpaar erinnernde Erscheinung in Form zweiter rot glühender Lichtpunkte, welche mich fast schon hypnotisierend ansahen. 
„Alleos“, hörte ich es flüstern und zischeln, „Alleos…“
Und ich wachte auf. 


Atemlos schreckte Saíji hoch. Er blinzelte mit den Augen, bis er feststellte, dass es noch mitten in der Nacht sein musste; alles war finster, nur ganz leicht spendete der Mond etwas Licht in den ansonsten dunklen Raum. Irgendwas hatte ihn aufgeweckt. Er wusste nicht wirklich was es war, er konnte sich nur leicht an ein Gefühl erinnern. Ein Gefühl der Panik. Und plötzlich, seine Sinne waren immer noch wie benebelt, fiel ihm ein einziges Wort ein. Sein ganzer Körper zitterte bei diesem Gedanken, doch ehe er sich versah, hatten seine Lippen eigenes Spiel gemacht, und das Wort ausgesprochen. Schweißgebadet saß er dort, angsterfüllt mit einem starren Blick gerade aus, als würde er etwas außerhalb seines Hauses; außerhalb der Welt suchen. Panisch wiederholte er mit schwacher, belegter Stimme wieder dieses eine Wort.
„Alleos…“

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