When you’re gone, it wont stop bleeding.
I can wait… I can wait, I can wait forever.«
Ein sachter Wind fuhr über die hoch gelegene
Ebene, bestehend aus Stein und Fels, die sich mit einem Teil ihrer bedrohlichen Klippe über die ewigen Dächer des Walds lehnte. Die Bäume die dort ihr zu Hause fanden, wanden sich leicht in der
Brise, wie kleine Grashalme auf einer endlosen Wiese. Ebenso wie die Flora dieser Welt, so war auch die Decke der Erde in inständiger Bewegung. Die grauen Wolken, die über dem Wald lagen, wogen sich
ebenfalls im Wind und setzten gemeinsam ein Bild zusammen. Jedes Element war an diesem Abend wie ein Puzzleteil. Zusammen ergaben sie Sinn, doch alleine waren sie nutzlos und
wertlos.
Auf der Klippe stand eine vierbeinige Gestalt.
Sie hatte einen längeren Körper, der mit einem Kopf begann und einem flauschigen Schweif endete. Auf dem Rücken stellten sich ihm die Haare, als die Abendbrise ihm durch das Fell fuhr. Man sah wie
sich seine Flanken in einem einfachen Rhythmus immer wieder hoben und senkten. Die Augen des Wolfes glühten in einem tiefen saphirblau, wie man es auf dieser Welt wohl kein zweites Mal sehen würde.
Er hatte wunderschöne Seelenspiegel. So wie es schien, beobachtete er etwas. Etwas, das weit in der Ferne lag, noch hinter dem Wald und dem Gebirge, welches man am Horizont, jedoch sehr verschwommen,
erkennen konnte. Es war wie eine Krone, die man dem Wald aufgesetzt hatte. Doch sein leerer Blick starrte weiter als hinter den Horizont, er schien gar kein Ende zu finden. Oder fixierte er doch
einen einfachen Punkt an, irgendwo tief zwischen den Bäumen?
Mit einem Mal wurde der Rhythmus seines Atmens
gestört, völlig ohne Sinn hoben und senkten sich seine Flanken nun, wie sie wollten. Es wirkte etwas stockend und stoßartig, fast als würde der Wolf… weinen. Doch dieser Gedanke war absurd. - Worüber
sollte schon ein Wolf weinen? Er war mit seiner Art, als eines der stärksten Tiere dieses Planeten gekennzeichnet, er brauchte keine Angst zu haben. Vielleicht hatten sich seine Augen jedoch nicht
aufgrund von Furcht geöffnet und ihre Tränenflüssigkeit abgegeben. Nein, vielleicht hatte es auch einen anderen Grund.
Seine Tränen fielen langsam und qualvoll auf den
steinigen Boden, wo sie wie ein Schiff an einer Klippe augenblicklich zerschellten und in viele, kleine Teile zersprangen. Der Prozess glich dem Brechen eines… Herzens. – War dies etwas der Grund,
weshalb der Wolf seine Seelenspiegel geöffnet hatte? War sein Herz gebrochen?
»Du musstest gehen, ich weiß es. Es ist besser
so. Besser für dich, für mich und für alle anderen, aber dennoch… Warum musste es so kommen? «
Der Wolf schüttelte sich, als wäre ihm kalt. Er
zitterte regelrecht und instinktiv erschlafften seine Beine, sodass sein Rumpf den Boden berührte und er plötzlich von selbst saß. Seinen Kopf legte er längs zwischen seine Vorderläufer, sodass er
weiterhin die wunderschöne Aussicht sehen konnte. Ein Genießen gab es in seiner aktuellen Lage nicht, denn seine Gefühlswelt war ein einziges Schlachtfeld. Voller toten Hoffnungen und Träume,
ermordet, von der Realität. Nach dem Kampf hatte sich ein weiterer, unsichtbarer Feind über die Verstorbenen hergemacht, der Liebeskummer.
»Ich habe nicht gedacht, dass es wirklich so
ist, aber… Heute ist es mir klar geworden, ich liebe dich. Doch jetzt bist du fort und ob du wieder kommst steht in den Sternen, davon weiß nur der Herr. «
Eine weitere Träne kullerte durch sein Fell
hinab und fand seinen, nun kürzeren Weg, zum Grund auf dem er lag. Sie zerschellte, genau wie alle ihre Vorgänger. Es war ein einfacher Zyklus, der sich in diesem Moment immer und immer wieder
abspielte und etwas am Leben hielt. Ein gewisses Lebewesen, eine Lebensform, die durch die Tränen lebte und aus ihnen einen Gewinn zog. Trauer.
Plötzlich fühlt der Wolf etwas auf seiner
Schulter, direkt rechts, über seiner Pranke. Es war warm und fellig, doch trotzdem gab es Geborgenheit und fühlte sich weich an. Es, egal was es war, schien zu leben, er fühlte den Pulsschlag, der
durch alle Gliedmaßen eines jeden Lebewesen fuhr auf seinem Körper und ohne weiter zu warten drehte er seinen Kopf, der Konsequenzen nicht bewusst, einfach um. Was er dort sah, ließ seinen Atem
stocken.
Der Wolf blickte in die kaminroten Augen seiner
Gefährtin. Ja, es war eben die, die ihn vor einem Tag verlassen hatte, sie war gegangen und hatte ihn hier zurückgelassen, doch nun war sie wieder hier. Die Trauer verschwand augenblicklich und wurde
sofort von Glücksgefühlen ersetzt. Freude stieg in ihm auf und er konnte nicht anders, als das Lächeln, welches immer weiter an die Front wollte, nicht mehr zu unterdrücken. Es war als würde eine
kleine Bombe in ihm explodieren, gefüllt war sie mit kleinen, runden Kügelchen, die wiederum platzen und eine unzählbare Menge an Glück und Freude hinterließen, nachdem sie einfach verschwanden, wie
Salz in einem Topf voller Wasser.
»Wieso bist du denn schon wieder hier? «, fragt
der Wolf überglücklich und blickte seiner Gefährtin strahlend in ihre wunderschönen Augen. Doch bevor er oder sie etwas sagen konnten, passierte etwas Schreckliches, etwas, dass das Herz des Wolfes
innerhalb von Sekunden wieder zerschlug und in tausende, schmerzhafte Splitter verteile.
Sie verschwand! Sie löste sich einfach auf, als
wäre sie nur eine Fata Morgana gewesen. Oder war sie nicht mehr als das? Eine Einbildung der Sehnsucht nach ihr? Wie eine Wolke die an Festigkeit verlor, wichen langsam, gar qualvoll, die
Gesichtszüge aus ihrer Gestalt und ihre Konturen wurden immer undeutlicher, bis nur noch ein kleiner, runder Klumpen übrig geblieben war. Das einzige, was noch erkennbar war, waren ihre Augen. Das
kaminrote Strahlen war noch nicht verschwunden, es schien zu warten. Es schien etwas sagen zu wollten, doch es fehlten die nötigen Mittel, ihm zu sagen, was sie sagen wollte. Es dauerte nicht lange,
da war auch für ihre Seelenspiegel die Zeit gekommen und auch sie verschwommen immer weiter, bis auch sie nicht mehr zu erkennen waren. Schließlich wurde sie erlöst, ihr Körper verschwand vollends
und ließ den Wolf einsam und allein zurück.
Was war das nur gewesen? Es war sie, er hatte
sie ganz deutlich erkannt, doch irgendetwas war anders. Es war nur… nur eine Einbildung gewesen. Und mit dieser Erkenntnis stand der Wolf wieder auf und streckte seinen Kopf dem Mond entgegen, der
mittlerweile die einzige Lichtquelle in dieser dunklen Nacht war. Er begann ihn anzuheulen, bis zur Mitternacht, wo er abrupt aufhörte und sich wieder hinsetzte.
»Ich werde immer warten…«, drang es kratzig und rau aus seiner Kehle hervor. Seine Seelenspiegel fielen zu und von einem Moment auf den nächsten war er eingeschlafen. Doch er machte wahr, was er versprach. Er würde auf sie warten. Für immer.