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Kapitel X
Die Torwächter


Leise pfeift der Wind hinab.
Die braunen Blätter fallen ab.
Die Dunkelheit ummannt das Licht
Was es nicht gibt, das sieht man nicht.

Selbstverfasst

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Es war ein einfaches Erwachen, weder von Qualen noch von Freuden begleitet. Sie wurde einfach wach. Yume lag auf einem steinigen Boden, dessen Oberfläche recht uneben schien, fast als wäre sie wellig. Auf ihm lagen kleine Steinchen und hier und da blickte auch vereinzelt ein Grasbüschel aus einer Spalte. Eine trostlose Gegend, fürwahr. Alles zusammen war das ein sehr unschöner Untergrund, also richtete sich das Mädchen auf. Zuerst streckte sie nur ihre Arme durch, sodass ihr Oberkörper aufrecht stand und ihr Kopf nicht mehr auf den Brocken lag, die auf dem Untergrund verteilt waren. In dieser Position blieb sie jedoch ruckartig stecken, als ihre Augen die Umgebung erblickten, in der sie sich befand. 
Es schien eine Art Tropfsteinhöhle zu sein, denn an allen Seiten der Wände und Decken hingen kleine, bröcklige Zapfen aus Gestein. Die Höhle schien in eine Art Tunnel zu münden, an dessen Ende ein Licht schimmerte. Es war ein sehr helles Leuchten, gänzlich weiß und betäubend. Als erstes kam Yume der Gedanke an den Tod, alles was sie über ihn wusste war das Licht am Ende eines weißen Tunnels, doch es war viel mehr als das.
Schier beeindruckt von der Höhle wagte es das Mädchen nicht richtig aufzustehen, also blieb sie schwer atmend am Boden liegen. Wenngleich ihre Umgebung wunderschön anzusehen war, ihr war immer noch nicht bewusst, wo sie sich befand. Und warum sie hier war. Hatte man sie wieder entführt? Gab es auf der Welt überhaupt solche Orte, die so wunderschön waren? Nein, Yume war von keiner Tropfsteinhöhle im näheren Umkreis bewusst, daher musste sie sich wohl eine andere Lösung ausdenken. Auf jeden Fall war sie nicht mehr zu Hause. Ein gewisses Gefühl ergriff sie, auf den ersten Blick schien es den Stempel der Angst zu tragen, doch wenn man ihm die Maske abnahm, entdeckte man ein pures Unwohlsein. Sie hatte große Furcht, vor allem was sie nun erwarten würde!

Nachdem Yume sich nun halbwegs gut umgesehen hatte, lief sie ein paar Schritte in Richtung des Lichtes, als sie am Ende dieses Tunnels zwei schemenhafte Gestalten erblickte. Eine der Beiden, deutlich größer als die andere, stand auf zwei Beinen und fuchtelte mit den Armen wild um sich. Vom Aufbau wirkte die Kreatur wie ein Mensch, doch mehr erkannt sie nicht, da das Licht ihr die Sicht verdeckte. Die zweite Gestalte ging hingegen auf allen vieren und war dadurch auch merklich kleiner. Sie schien etwas längeres Fell zu haben und ein seltsames Blitzen ging von ihrem Kopf aus. Waren das… Zähne? Mehr konnte das Mädchen auch nicht erkennen, aber sie hatte schon einen Verdacht wer das war, daher begann sie, immer wieder stolpernd, auf die Beiden loszulaufen. 

„Ach sieh an, unsere Yume ist endlich wach!“, schallte es durch dieses tunnelartige Gemäuer, die Stimme schien von dem vierbeinigen Wesen auszugehen. Im Gegensatz zu diesem jedoch, bewegte sich die menschenähnliche Kreatur auf Yume zu und als sie ihr etwas näher kam, erkannte sie, wer das war. 
„Lunea!“, rief das Mädchen, in ihrer Stimme lag Freude, wohl da sie nun nicht mehr allein war. Und dann war dieser Vierbeiner wohl der Wolf, der sie in ihrem Haus empfangen hatte, warum war ihr noch immer fragwürdig. Ebenso wie so viele andere Fragen, die der Umgebung und wo ihre Eltern waren. Xeria, so war sein Name gewesen. Ob er sich auch in einen Menschen, oder etwas ähnliches, verwandeln konnte, so wie es in den Sagen, Legenden und Märchen immer über Werwölfe erzählt wurde? Sie ging davon aus, doch fragen wollte sie auch nicht, viel zu groß war ihre Angst vor ihm und der Situation, in der sie sich befand. 
„Wo sind wir hier?“, fragte Yume heiser, nun wieder an die Ariska Lunea gewandt. 
„Fuykai“, antwortete diese knapp, aber deutlich und drehte sich wieder um. Sie schien wohl ihre Stimme zu heben um etwas zu sagen, doch der Werwolf durchschnitt diesen Ansatz mit seiner tiefen, kalten Stimme, scharf wie des Messers Schneide. 
„Lunea, wir müssen uns beeilen, sonst verlieren wir das, was uns das Leben retten soll“, brummte er und hob dabei eine Augenbraue, werden er mit dem anderen Augen skeptische auf das Erdenmädchen blickte. Alles war ihr vorher fremd, doch da war sie wenigstens noch zu Hause. Nun war sie ihn… Fuykai. Wenn sie nur wüsste was das sein sollte. Wenngleich Lunea es ihr bereits gesagt hatte, nach wie vor fehlte einfach die Idee. 
„Du hast recht, Xeria. Komm Yume, wir müssen aufbrechen“, murmelte sie und lief sofort los, als auf das weiße Licht zu. Yume hatte ein bisschen Angst, doch sie hatte keine Wahl, entweder sie folgte den beiden Fabelwesen, oder sie blieb hier, alleine und einsam und wartete darauf, dass sie an Hunger und Durst starb. Mittlerweile schon alt genug, urteilte sie darüber, dass die Variante des Gehorchens deutlich mehr Vorteile hatte und so setzte sie sich, ebenso wortkarg wie die zwei anderen Reisenden, in Bewegung auf den hellen Schein zu. 

„Hör mir gut zu Yume“, brachte Lunea nach ewigem Schweigen von sich. Nachdem sie eine gefühlte Ewigkeit von Zeitepoche durch den Tunnel gelaufen waren, den Ausgang erreicht, über eine große, graue Fläche voller Stein und Schutt gelaufen und zu guter Letzt in eine tiefe Schlucht, bestehend aus Stein und Staub, geklettert waren, standen sie nun vor einer riesigen, steinernen Wand, die keinerlei Auswege bot. Diese Mauer ragte so hoch in den Himmel, dass Yume das Ende dieser nicht sah und ihr bei dem Gedanken daran schon schwindelig wurde. Aber egal was käme, sie müsste eh dort durch. „Ich will dass du jetzt alles genau so tust, wie ich es dir sage. Verstanden?“ 
„Ich denke schon“, murmelte das Mädchen nachdenklich, aber dies schien Lunea wohl nicht zu genügen, denn fast schon etwas herrisch griff sie Yume am Arm, zog sie zu sich und flüsterte ihr mit einer brennend scharfen, aber leisen Stimme, erneut ihre Forderung ins Ohr. Sie nickte nur kurz und sah die blauhäutige Frau dann verwundert an. Eben, auf der Erde, war sie noch total freundlich und hatte überhaupt keinen Stress oder etwas der Art, und hier, in Fuykai – bei diesem Namen runzelte sie argwöhnisch die Stirn -, war sie plötzlich wie ein anderer Mensch. Sie schien sehr sorgsam und bedacht in allen ihren Handlungen und machte auf Yume einen krampfhaft konzentrierten Eindruck, fast als wäre dieser Weg und das Land voller Fallen, die sie gerne umgehen würde, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Oder war es wirklich so? War diese Mauer auch eine Falle, ein Hindernis, dass sie aufhalten sollte? Warum wollte man sie nicht in Fuykai haben? 
„Lauf auf die Wand zu, drück deine Hand mit ihrer Fläche irgendwo auf diese Wand und sage dann deinen Namen. Der Vorname genügt.“ Yume sah Lunea stirnrunzelnd und fragend an, aber als Antwort bekam sie einen fordernden, kalten Blick zurück geworfen, der sie darauf hinwies, was sie vor ein paar Sekunden noch versprochen hatte. – Also lief sie los, ein paar Schritte auf die Mauer zu. Sie drehte sich nochmal um, doch weder Xeria, der das ganze Gespräch noch kein Wort von sich gegeben hatte, sondern einfach nur auf dem bröckligen Untergrund schlummerte, noch Lunea, die einfach nur dort stand und das Mädchen mit eiskalten Blick musterte. Also ging sie weiter. Die Mauer war nun keine zwei Schritte mehr von ihr entfernt und die genaueren Konturen dieser offenbarten sich ihr. Überall waren ganz leicht Zeichnungen eingeritzt, Zeichnungen von, ihr unbekannten, Symbolen. Kreisförmige, Ovalförmige und Eckige, alles war dabei. Zusammen gaben sie ein schier wunderschönes Bild ab und Yume hegte nun nicht eine Minute ein Misstrauen gegen die so hübsch verzierte Mauer. 
„Was soll‘s?“, murmelte das Mädchen vor sich hin und ohne weiter nachzudenken, drückte sie ihre Hand gegen die steinige Mauer und flüsterte ihren Namen. 
Plötzlich standen auch Lunea und Xeria hinter ihr, sie waren wohl gerade zu ihr gestoßen. Beide hoben sie, ob Pfote oder Arm, eine ihrer Gliedmaßen und legten sie ebenfalls mit der Fläche auf die Wand. Gleichzeitig wisperten sie ihre Namen und mit einem Schlag ertönte ein ohrenbetäubendes Grollen. Es schien so, als würde man Steine über den Boden ziehen, es wurde immer lauter und lauter und plötzlich bemerkte Yume einen Riss in der Mauer, genau dort wo ihre Hand lag. 
„Nimm die Hand nicht zurück!“, befahl Xeria an Stelle von Lunea. Es kam ihr so vor, als hätte er ihre Gedanken lesen können, denn genau das hatte sie vor Schreck vorgehabt. Oder hatte er doch nur sinnvoll kombiniert? Der Wolf machte ihr von Minute zu Minute etwas mehr Angst. Aber sie befolgte seinen Befehl und ihre Hand ruhte weiterhin auf der mittlerweile mindestens zwei Zentimeter breiten Spalte, die sich genau dort gebildet hatte. Sie wurde immer und immer größer, ihre Hand hing nun frei in der Luft. Flüchtig warf sie Xeria einen fragenden Blick zu; dieser nickte nur und Yume nahm entspannt die Hand wieder runter. 
Das Grollen wurde immer stärker, Staub wurde aufgewirbelt und von überall wo oben war, bröckelten kleine, teilweise auch sehr große Brocken, die Mauer entlang hinab, auf sie und ihre zwei Begleiter zu, die dort standen und warteten. Die Spalte nahm, genau wie der qualvolle Lärm, mit jeder Sekunde an Masse zu und schon bald, war die Spalte so groß, dass Yume ihren Kopf hätte durchstecken können. Was sie dort sah, war jedoch alles andere als erfreulich! 

Sie wird es schaffen, keine Sorge. Ich möchte nur, dass du sie nicht zu mir bringst, denn das würde wohl fatal für meine, ihre und unsere Mission enden, das weißt du hoffentlich. Ich möchte, dass du sie in das südliche Flusslager bringst, dort wollen wir sie erst einmal aufklären, dass wird Jicua übernehmen. Er findet doch immer die richtigen, weisen Worte. Von dir erwarte ich jedoch viel, meine Liebe. Beweise mir, dass du den Tod deiner Mutter rächen willst. … Ich weiß, dass Caída tot ist, diese Nachricht ereilte das Gefängnis schneller als die Grippe eines Reisenden, aber es scheint hier niemanden zu interessieren. Er muss etwas getan haben, einen Verrat oder etwas Derartiges auf dem Gewissen liegen haben, sonst würde diese ganze Ruhe und Gelassenheit keinen Sinn machen. Und ich brauche euch… Es ist nahe zu grausam hier, ich hatte schon öfters die Angst, dass sie mir den Garaus machen, aber bisher ist noch nichts passiert, o welch ein Glück, ich danke dir Herr. Ich bitte dich, komm mit der Cryani und rettet gemeinsam unser Land! Für die Elfen, die Zwerge, die Ariska, die Werwölfe und all unsere Anhänger, die von Schatten und Kälte ergriffen worden sind. Yume – Sie ist unsere letzte Hoffnung, unser Schicksal ist durch ihr Handeln besiegelt. 

„Tretet ein“, bellte eine raue, tiefe Stimme hinter der felsigen Mauer und Lunea und Xeria taten sofort, wie ihen aufgetragen wurde, Yume hingegen zögerte noch einen Mond. Nur ein Wink mit der Hand ihrer blauhäutigen Beschützerin überzeugte sie, ihr und dem Werwolf gleich zu tun, und den Befehl der Kreatur zu befolgen. 
Sie traten gemeinsam ein und standen nun wieder in einer Art Tropfsteinhöhle, wie sie es schon zuvor waren. Nur etwas war anders. Das Licht am Ende eines weiteren Tunnels, war heller und deutlicher und die Tropfsteinhöhle war nicht leer, sie waren hier nicht allein. Es war eine Art Ball, der in einen Stab mündete, welcher sie zum Licht führte. Vor dem Stab, der als Tunnel diente, standen zwei größere Gestalten. Sie hatten beide einen recht buckeligen Rücken und Kapuzen auf dem Kopf. Ihre langen, schwarzen Umhänge verdeckten ihren kompletten Körper und in der Hand trugen sie jeweils einen Speer, mit einer fürchterlich außergewöhnlich geformten Spitze, die dazu bereit waren, jedem Eindringling kommentarlos den Kopf abzuschlagen. Wenngleich die beiden Gestalten gänzlich identisch aussahen, so lag der Unterschied der Beiden wohl in den Spitzen ihrer Lanzen. Die des Rechten hatte eine Art Eiskristall als Spitze, während die des Linken einen Halbmond hatte. Was hatten diese Zeichen nur zu bedeuten? Yume sah erst Xeria und dann Lunea fragend an, doch keiner der Beiden erwiderte ihren Blick auch nur, allesamt starrten sie gebannt auf die beiden Gestalten. Sie hoben nun zeitgleich ihre Arme, in der Hand die Speere, und ohne Vorwarnung, begannen sie im Chor, eine helle, kratzige und eine tiefe, dunkle Stimme, zu sprechen. 
„Dies sind die Tore nach Fuykai“, gaben sie von sich, woraufhin sie einen Moment schwiegen, als würden sie ihre Gedanken sortieren und überlegen, was sie als nächstes zu sagen hatten. 
„Lunea, die mutige Ariska. Du bist bei uns weitbekannt und selbst wenn du für des Eises Macht eine Bedrohung bist, so darfst du doch passieren.“ Lunea lief auf die Beiden Wesen zu und sie hoben ihre Lanzen, sodass sie durchtreten konnte. 
„Xeria, Wolf des Grauens. Du bist uns als Mörder bekannt, aber dennoch hast du ein gutes Herz. Wenngleich auch du für des Eises Macht keine Bereicherung bist, so braucht dich dein Volk. Dein Durchlass sei gewährt“, krächzten die zwei Gestalten und der Werwolf folgte Lunea in den Tunnel. Nun waren nur noch ihre Schatten zu sehen. 
„Yume“, begannen die Beiden ihre nächste Entscheidung, doch sie stoppen abrupt ab, „über dich wissen wir nichts. Aber du hast eine Aura, du wirst des Eises Tod sein.“ Einen Moment lag Stille über der Höhle, sogar Lunea und Xeria hatten sich umgedreht, um zu sehen was passierte. 
„Du bist ein Neuankömmling und von diesen verlangen wir Blut“, zischten die beiden Wesen, und die Kreatur des Eises kam, ohne irgendwelche Füße oder Beine zu zeigen – es schien wohl zu schweben -, auf sie zu und hielt ihr sofort die Klinge des Stabes an die Adern unter der Handfläche. Das war eine Pulsader! Da entnahm man doch kein Blut! 
„Lasst das!“, brüllte Lunea und rannte nun zurück, auf die beiden Wesen zu, doch das andere mit Mondstab versperrte ihr den Weg. 
„Das sind die Regeln, Lunea!“, keifte nur das Mondwesen und stieß sie mit der Lanze bedrohlich tief in die Magengegend. Doch die Ariska schien den Schlag recht einfach abzuwehren. 
„Sie wurde von einem Vampir gebissen, Blut hat sie schon genug verloren, wir müssen sie schnellstmöglich davor retten, sich zu verwandeln, sie ist unsere einzige Hoffnung!“ 
Die Kapuze nach wie vor tief im Gesicht, starrte das Mondwesen sie an, doch dann schüttelte es nur den Kopf. 
„Seit Beginn der Zeit nehmen wir das Blut der Neuen, das ist das Gesetzt!“, zischte es und drehte sich damit um, zu seines gleichen. 
Das Wesen mit der Eislanze hatte die Klinge dieser bereits an Yumes Arm gehalten und musste nun nur noch ritzen. Es wäre eine Aktion von zwei Sekunden, doch es würde brennen, wie die Hölle, sie würden schreien, wie ein Tier und sie würde sterben, wie ein… Vampir. 
Ohne weiter zu warten, legte das Eiswesen die Klinge auf die Adern und murmelte noch ein paar letzte Worte auf einer Sprache die sie nicht verstand, bevor es Yume tatsächlich ritzte. Der Schrei des Mädchens, vor Schmerzen, mischte sich mit dem Schrei des Ariska, vor Trauer, Wut und Angst, und zusammen schallten sie qualvoll von der Höhle rauf und runter. Blut quoll aus dem Rinnsal und das Eiswesen fing es regelrecht mit der Hand auf; und ebenso schnell wie es dies getan hatte, lies es die Flüssigkeit auch verschwinden, wohin wusste niemand. 
Die Schmerzen in Yumes Körper häuften sich und sie spürte nahezu wie das Blut in ihrem Körper immer weniger wurde, der Prozess der Verwandlung in einen Vampir würde so nur noch beschleunigt werden und es würde nicht mehr lange dauern, bis er vollends beendet war. Sie schrie vor Schmerzen; diese glichen einer Brandwunde oder einem Schwerthieb. Kaum bei Bewusstsein schloss das Mädchen die Augen und begleitet von endlosen Qualen und Schmerzen fiel sie langsam in Ohnmacht. 


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