K A P I T E L _ XII

Verrat «

Ein Kampf ist gewonnen wenn der Gegner besiegt ist
Eine Schlacht ist gewonnen wenn der Gegner tot ist
Aber der wahre Sieg lässt sich nur in einem Wort zusammenfassen
Es ist Reue

— Selbstverfasst



„Trag das auf die Wunden auf, dann wird der Schmerz bald vergehen, Liebes.“
„Was machen wir gegen die Blutung? Es ist wichtig, diese zu stoppen, meinen sie nicht auch, Erýn?“ 
Das Wesen, welches sich über ihren Bauch geneigt hatte, zog sich zurück und lief hektisch, mit armähnlichen Gliedmaßen zitternd, auf ein großes Regal zu, welches einen Artgenossen in en großen Bibliotheken glich. Nur war der Inhalt keine literarischer Stoff, sondern Kräuter und Heilmittel aller Art, wie Yume sie in ihrem Leben noch nicht gesehen hatte. Immer noch ein wenig verwirrt, versuchte sich das Mädchen daran zu erinnern wie sie hier hergekommen war, bevor sie sich Gedanken darüber machte, wo sie hier eigentlich war. 
Lunea hatte sie von dieser Ebene weggebracht, als ein Mann ihrer Rasse etwa von einer Eroberungen des Flusses gesprochen hatte. Hatte ihre Beschützerin sie also vor einem Kampf bewahrt? Doch war auf der winterlichen Ebene, auf der sie in ihren Erinnerungen immer noch verweilte, kein Fluss zu sehen; weit und breit nicht. Wovon hatte der männliche Ariska nur gesprochen? Schnell kam Yume zu dem Entschluss, dass es keinen Sinn machen würde, sich weiter darüber Gedanken zu machen, sie musste nun den Tatsachen ins Gesicht blicken und weiter überlegen. Lunea hatte sie weit weggebracht, sie waren lange über eine große Ebene geritten und schließlich durch eine Art Gebirgspass – weiter vermochte sich das blasse Mädchen nicht zu erinnern. 
„Bitte öffne deinen Mund, Arashi… Ich… Ich meine natürlich Yume, wie unaufmerksam von mir“, bemerkte das Geschöpf, welches offenbar die richtigen Heilmittel gefunden hatte und nun wieder zu ihr zurück gekehrt war, nachdem es sich wohl in ihren Namen vertan hatte, „Ich bitte vielmalst um Verzeihung.“
Benommen nickte sie nur, was das Wesen als ein ‚Ja‘ interpretierte – richtig geraten. Wie ihr aufgetragen öffnete Yume ihren Mund und sofort steckte das seltsame Geschöpf seine Finger hinein. Es hielt zwei grünliche Blätter mit ihnen, welche es dann losließ. 
„Auf der Zunge zergehen lassen, nicht kauen“, befahl es kurz und drehte sich wieder um. Offenbar ein wenig verwirrt murmelte das Wesen ein paar unverständliche Sätze vor sich hin, bis es wohl gefunden hatte, was es suchte. Einen hölzernen Behälter mit Deckel, den es abnahm. Zum Vorschein kamen ein paar silbrige Spinnennetze, deren Antlitz im Licht geheimnisvoll schimmerte. 
Das Wesen kam wieder auf sie zu und legte eines der Spinnennetze behutsam auf eine klaffende Wunde an Yumes rechtem Bein. Zunächst spürte sie ein kräftiges Ziehen, worauf sie leicht aufstöhnte, doch dann zeigt das Netz seine Wirkung, das Blut gelang nicht mehr durch die Fäden und die Wunde war geschlossen. Während das Geschöpf dies an allen anderen ihrer größeren Wunden und Schnitte tat, sah sich das Mädchen in dem Raum, in dem sie lag etwas um. Es war kein großer Raum, gerade groß genug für sie um zu stehen, Lunea konnte sich hier wahrscheinlich nicht aufrichten. Die Decke, sowie der Boden und die Wand bestanden aus einem weißlichen Material das Holz sehr nahe kam – vielleicht war es sogar Holz. An der Wand frontal gegen über dem Bett auf dem sie lag, hing ein Bild, es war nur eine Pergamentrolle, die irgendwie befestigt wurde und auf ihr war nur ein einfaches Zeichen abgebildet. „死“ Was hatte dieses Zeichen zu bedeuten? Rechts des Bettes war das Regal mit den Heilmitteln, links war einfach nur die Wand. Nach hinten wollte und konnte Yume nicht sehen, jede einzelne ihrer Gliedmaßen schmerzte so unendlich. Sie fühlten sich taub, träge und schwer an und jede kleinste Bewegung tat ihr umso mehr weh. 
„Lunea“, fragte sie nach der Ariska, die sie in Fuykai schon immer begleitet hatte, „sag mir bitte wo wir hier sind.“ Letzteres klang eher nach einem Flehen als nach einer Bitte, doch die Blauhäutige verstand. Sie warf dem Geschöpf – welches offenbar auf den Namen Erýn hörte – einen fragenden Blick zu, doch dieses schenkte ihr keinerlei Aufmerksamkeit, wofür es einen verachtenden Blick erntete. Doch schließlich holte sie kurz und Luft, und begann Yume zu erzählen, wie sie hier her gekommen waren und wo sie waren. 
„Die ist der Baum des Todes, meine Liebe. Hier wohnt Erýn, der Wächter des Todes. Klingt düster, nicht? Nun, Oraij ist Heilerin und kümmert sich daher um deine Verletzungen, besonders jedoch um Caídas Bisswunde… Keine Sorge, hier sind wir erstmal sicher.“ 
„Was ist… Erýn?“, fragte Yume, in ihrer Stimme klang ein abwertender Unterton wieder, den sie, sobald sie die Antwort des Geschöpfes vernahm, zutiefst bereute. 
„Was bist du denn, Yume? Ich bin ein Lebewesen, so wie wir alle – tut es etwas zur Sache, was ich bin?“ Erýn Stimme klang kalt, aber dennoch wirkte sie auf das Mädchen nicht böse oder verärgert. Es lag ein Hauch von Trauer, sehr tief jedoch, in ihr…
„Ich bin ein Mensch“, trotze Yume der Gegenfrage, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken und erntete dafür überraschte Blicke, sowohl von Erýn, als auch von Lunea, „Und was bist du?“
„Des Todes Wächter – ich bin eine Eule“, zischte das Geschöpf und mit dem Klang des letzten Wortes breitete sie auf ihrem Rücken ihre Flügel aus – sie erstrecken sich insgesamt fast über den ganzen Raum. Ein Schreck ereilte das Mädchen, wenn auch nur von kurzer Dauer, nachdem sie Dämonen, Wölfe und Vampire gesehen hatte, waren Eulen nicht unbedingt ihre größte Angst. 
„Wie auch immer“, meinte Erýn in Gedanken versunken – mehr zu Lunea, anstatt zu Yume, mit der sie bis eben noch geredet hatte, „Wir müssen sie schnell zu den Nomaden bringen, Wryu soll sie mitnehmen; deine Aufgabe ist beendet Lunea…“
„Aber…!?“, fuhr ihr die Ariska durchs Wort, wovon sich die Eule nicht beeindrucken ließ. Einen Moment lang starrte sie Yumes Begleiterin mit einem durchdringenden Blick an, doch dann fuhr sie einfach fort. 
„Deine Aufgabe war es sie hierher zu bringen, das weißt du Lunea. 
Wo ist Wryu jetzt? Du es etwas von Unruhen am Yama Ni gesagt und dass sie da sind. Stimmt das?“ 
„Ja“, meinte Lunea knapp und stand auf. Ihre Stimmen klang so monoton, als wäre ihr plötzlich alles gleichgültig. Überrascht beobachtete das blasse Mädchen, wie ihre einzige Freundin die Höhle verließ und sie von einem Ast zum anderen schwang, bis sie den Boden erreicht hatte. Wortlos ging sie fort, keine Mimik, keine Abschiedsgrüße, sie verschwand einfach am Horizont, wo die Sonne langsam unterzugehen begann. Ein paar kleine Tränen entwichen Yume aus ihren Augen und sie schniefte kurz. Bedacht versuchte sie ihre Gefühle vor der Eule zu verstecken, alle Empfindungen, die Trauer und der Schmerz, sie waren in ihr gefangen und es gab keinen Weg hinaus. 

Sie hat deine Augen… Herr, beschütze sie, denn andere können es nicht!

Erýn, bitte weise ihr den Weg; zeige ihr, wohin ihr Schicksal sie führen wird und muss, geleite sie durch die Pforten des Yama Ni. Reise mit ihr. Meine einst treu Ergebene beging soeben verrat – des Feindes Vorteil sie schuf. Nun ist die Cryani allein, deshalb beschütze sie – opfere dich voll und ganz ihrem Wohl und sterbe, wenn es an der Zeit ist zu sterben. Denn so lebst du auch, wenn es an der Zeit ist zu leben. Erýn, ich vertraue dir und setzte all meine Hoffnungen in dich. Doch kann ich dir sagen; du solltest befolgen was dir aufgetragen, denn meine Rache ist fürchterlich und meine Macht erstreckt sich über alles der Welt – nur gibt es einen Feind. Das Eis ist ein ständiger Begleiter unsererseits und so wird es uns den Tod bringen. 
Bei Arashi, bring sie zu mir Erýn! 


Vorsichtig breitet Erýn ihre Flügel aus, bevor sie in dieser Nacht davonflog. Ein letztes Mal blickte sie auf ihren Baum des Todes zurück. ‚Ich werde es bereuen‘, murmelte sie verbittert, doch sie hielt ihr Tempo und segelte anmutig durch die Dunkelheit. Der kalte Wind schlug ihr entgegen, doch schon bald war auch sie verschwunden und Yume war nun endgültig allein. Es sollte ein grausames Erwachen für sie werden, denn einsam ist man nur, wenn man sich vor allen anderen verschließt. 

~



„Das werde ich nicht zulassen, so wahr ich Wryu – der Führer der arnischen Streitmacht – bin und noch die Kraft dazu haben, gegen dich zu kämpfen!“
Ein Hauch von Überraschung legte sich über Acroas bleiches Vampirgesicht, doch schnell schüttelte sie dieses Gefühl ab und sah ihren Gegner nur herausfordernd an. Lüstern auf seinen Tod zeigte sie ihre Zähne, bevor ihre scharfe Stimme zu reden begann. 
„Sie tötete meinen Bruder; dafür töte ich dich!“ Ohne weitere Vorwarnungen schoss sie auf den Fluss zu und machte einen unglaublichen Satz auf die anderen Seite, der für die Ariska so wichtigen Wasserstraße, wo sie elegant landete und ihren Gegner anvisierte. 
„Nur wir beide; hier und jetzt. Ein letzter Kampf!“, zischte sie verräterisch. Das war offenbar das Startsignal, denn augenblicklich rannte auch Wryu los, sein Schwert in der rechten Hand. Er ließ alles stehen und liegen was er bei sich hatte, auch sein Pferd musste wohl warten, denn er wollte nur eines und zwar ihren Kopf.
Frontal sprintete er auf sie zu und zog mit seinem Schwert einen Bogen, sodass es nun schräg auf ihren Hals gerichtet war. ‚Gleich ist sie tot!‘, schoss es ihm durch den Kopf, doch genau in diesem Moment, sprang Acroa in einer eleganten Bewegung nach oben, machte in der Luft eine Art Rückwärtssalto und landete ein paar Meter weiter hinten, nur weniger Schritte vom Fluss Yama Ni entfernt. Ein verschmitztes Lächeln legte sich auf ihre Lippen und ehe Wryu sich versah, startete sie einen Gegenangriff. Blitzschnell fuhr sie ihren Krallen aus und rammte sie dem Ariska frontal in den Bauch, welcher sie perplex anstarrte. Zumindest bist er den Schmerz spürte und laut aufschrie. 
Derweil begann Acroa wie wild zu lachen; es war ein verrücktes Lachen, als wäre sie eine Psychopatin. Ein helles Pfeifen kam in Wryus Ohr auf und plötzlich spürte er das grässliche Verlangen sich einfach in den Fluss zu werfen und zu sterben – alles besser als von er Vampirdame misshandelt und verachtet zu werden; sie würde mit ihm spielen und ihn leiden lassen bis nicht mehr als sein Kopf übrig wären. Tränen stiegen in seinen Augen auf; ein Reflex den der Krieger bisher immer unterdrücken konnte; und er streckte die Hände an seine Ohren. Dieses Geräusch sollte aufhören! Doch dem nicht genug begann plötzlich die Umgebung um Acroa zu brennen, das Feuer schien unkontrolliert zu sein und dennoch konnte die Anführerin ihrer Gegner es irgendwie zügeln. Das war aber nicht der Punkt. Demonstrativ schüttelte der Krieger der Ariska sich um die unnötigen Gedanken und das Pfeifen in seinen Ohren loszuwerden, letzteres gelang nicht ganz so gut wie erhofft. Doch er kämpfte dagegen an. 
Erneut rannte er auf Arcoa zu, sein Schwert gerade ausgestreckt, mit der Absicht sie zu töten. Die Vampirdame lachte nur höhnisch und als würde sie schweben raste sie auf Wryu zu, dessen Zuversicht bedenklich sank. In seinen Augen zeigte sich die Furcht, was seine Gegnerin und ihren Siegeswillen nur stärkte und nährte, es schien als wäre der Ausgang des Kampfes bereits geschrieben und man wartete nur noch darauf, dass das Geschriebene wahr wurde. 
„Stirb du Dämon des Bösen!“, brüllte Wryu hasserfüllt und schüttelte mit einem Mal alle seine Bedenken ab. In diesem Moment fiel sämtliche Angst von ihm und mit Mut und Kraft stürzte er sich in den Kampf. Wieso das genau zu diesem Zeitpunkt passiert war, wusste er nicht, aber irgendwas hatte ihn davon überzeugt, dass er gewinnen könnte, wenn er nur wollte. Wer weiß wer oder was das war, auf jeden Fall kam es genau im richtigen Augenblick. 

Das Schwert traf sie und sie ging zu Boden. Aus einer dicken Wunde an ihrem Arm quoll dunkles, fast schon schwarzes, Blut und mehrere Schürfwunden überzogen ihren zarten Körper. Ihr schwerer Atem war über das ganze Kampffeld, östlich und westlich des Yama Ni, zu vernehmen, da es niemand wagte auch nur einen Ton von sich zu geben und diese majestätische Stille zu unterbrechen. 
Wryu hatte sie zunächst einmal besiegt und das schien das einzige Wichtige zu sein. Krampfhaft versucht die Vampirdame aufzustehen, doch es gelang ihr nicht, sie war zu schwach. Der Schlag des Ariska hatte ihr schwer zugesetzt. Der Anführer der Blauhäutigen glaubte ein leises Flüstern zu vernehmen, es beinhaltete Flüche. Er musst kurz auflachen, doch dann drehte er sich einfach um und ging zurück zu seinen Kumpanen. Ein letztes Mal sah er seine Feinde an und brüllte mit grollender Stimme ein paar letzte Worte.
„Verschwindet von hier; nehmt eure Anführerin ruhig mit. Wir brauchen keinen Dreck an unserem Fluss. Aber lasst euch eins gesagt sein, lasst euch hier nie wieder blicken!“ 
Erstaunt sahen die meisten der Gegner Wyru an, doch dann handelten sie schneller als gedachte; drei der Schatten nahmen Acroa, der Rest zog einfach ab, angeführt von einem weiteren Schatten. 
„Wenn die Sonne weg ist, machen wir Jagd auf euch!“, fauchte Wyru und mit dem Ende dieses Satzes brach die Menge an Ariska hinter ihm in ein jubelndes Geschrei aus. 
Diesen Kampf hatten sie also doch gewonnen. Doch war er nicht die Schlacht. 

Und seine Worte… Bitte oh Herr!

 

Sie wachte einfach nur auf und sofort wusste sie es: Sie war allein.