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Kapitel V
Blutige Entführung

Die Jagd nach dir ist unsere Lust,
welch Vergnügen Vampirvisionen,
blutige Erkenntnis
endlose Liebe ist das göttliche Bekenntnis
jetzt sind wir ein Fleisch ein Blut
weiße Haut blaue Adern, geheime Rituale
Augen rot wie Glut
Komm zu mir Teile dein Blut,
Teile dein Leben
Lass uns spielen roter Regen
Mondgöttin
Bereit für die Ewigkeit



„Ich komme Schatz!“, rief Yumes Mutter mit heller Stimme. 
Wie sollte das Mädchen ihr erklären, dass mal wieder alles nur Einbildung war? War es überhaupt Einbildung? Die Spuren sahen sehr echt aus und als sie drüber gefasst hatte, fühlte sich das auch sehr real an.
Panisch überlegte sie was sie nun sagen sollte. Ihre Mutter würde sie für verrückt erklären und sie wahrscheinlich wieder ins Bett legen, weil sie Halluzinationen hat. Yume wusste mittlerweile jedoch selbst nicht mehr was real war und was nicht. Es war ihr ehrlich gesagt auch egal, die letzten Tage und auch den heutigen hatte sie sich selbst zerstört, da gab es kein Zurück.
„Mama, es ist okay… Du brauchst nicht kommen“ stotterte Yume, während sie auf die Treppe zulief, um die Frau aufzuhalten. Eilig rannte sie an den weißen Tapeten vorbei, die überall im Flur an der Wand waren. Sie strahlten Kälte und Frost aus und gefielen ihr gar nicht. Doch ihre Eltern mochten die weiße Farbe ungemein, so vieles in diesem Haus war weiß. Zu den Standartfarben der Einrichtung zählte auch Grau, eine Farbe die ungefähr genauso oft vorkam wie weiß. Beide waren nicht wirklich die schönsten, erst Recht nicht wenn ein Kind dort leben sollte. Das einzige Zimmer mit richtiger Farbe war ihr eigenes Zimmer, es war dunkelrot und weiß gestrichen. Die Farben gefielen ihr und es war auch immer der einzige Raum in dem sie sich gerne aufhielt. Doch mittlerweile wäre sie am liebsten Nirgendwo, oder in ihrem Traum, wo es nur Dunkelheit gab. 
„Was ist denn los?“, fragte ihre Mutter misstrauisch. Yume schreckte aus ihren Gedanken hoch. Sie bemerkte, dass sie schon an der Treppe stand, schnaufend vor Energieverlust. Ihre Mutter blickte sie verwirrt an, doch Yume schüttelte nur den Kopf und winkte ab. Sie wusste nicht was sie sagen sollte, daher machte sie von ihrem Recht Gebrauch zu schweigen. Die Frau schaute sie fragend an, doch sie lies nur ein kleines Lächeln sehen und verschwand dann schnell in ihrem Zimmer. 
Zurück blieb eine besorgte Mutter die mal wieder nicht wusste was mit ihrem Kind los war.

Yume kam an ihrer Tür an, schloss die Augen vor Erschöpfung und griff dann schwer atmend an den Türgriff. Wahrscheinlich würden die Kratzer nun wieder zu sehen sein, doch das war ihr nun auch egal. Ihre Mutter würde ihre nicht glauben. Langsam drückte sie die Klinke hinunter. Die edle Holztür öffnete sich und das Mädchen ließ die Klinke los. Das Licht des Ganges, welches von den Lampen an der Decke ausging, flutete ihre Zimmer mit hellem Licht. Yume trat langsam hinein und im nächsten Augenblick begann sie zu schreien. Fürchterlich zu schreien. Doch schon nach wenigen Sekunden erstickte ihre Stimme, sie brachte kein einziges Geräusch von sich. Was sie dort sah jagte ihr undendliche Angst ein. Vor ihr stand ein bleiches Wesen, mit weißen langen Krallen. Es hatte schwarze Haare und voller Hass glühende, rote Augen. Seine großen, scharfen und langen Zähne ragten weit über seine Unterlippe hinaus und glänzten in weißer Farbe. Was sich bei Menschen Hand nennen würde, war bei ihm ein helles Knäul mit drei Krallen, die ebenso wie die Zähne, angsteinflößend glitzerten. 
„Hallo Yume!“, krächzte das Wesen und fing schallend an zu lachen.
Die Angst traf sie wie ein Pistolenschuss und streckte sie ebenso schnell nieder, wie es einer tun würde. Woher kannte dieses Etwas ihren Namen? Sie begann zu schwitzen, wollte wieder schreien, doch jeder Widerstand schien zwecklos, ihre Stimme war gefangen, ihre Herz war gefangen und sie war gefangen.
„Was ist denn los? Hast du Angst?“, brüllte das Wesen genüsslich. Böse durchbohrte es Yume mit seinem Blick. Er war eiskalt und trotzdem heiß wie Feuer. Wenn dieses Etwas sie anschaute, hörte sie hohe Lautstärke und keine Töne zugleich. Dann empfang sie Wärme und Kälte im selben Moment. Ein ohrenbetäubendes, sehr hohes Pfeifen durschnitt ihre Gedanken wie ein Messer und hinterließ etliche Einzelteile, die wie Überreste eines Mordes auf der Fläche verteil lagen. 
„Willst du nicht mit mir kommen?“
Yume öffnete den Mund und wollte auf diese Frage antworten, doch noch bevor sie das konnte, flog das Wesen blitzschnell neben sie und griff mit seinen Händen ihren Kopf. Sie waren eiskalt und bevor er auch nur etwas anderes tat begann ihr Kopf fürchterlich zu dröhnen, es war nicht auszuhalten. Dann zog er sie etwas zu sich heran und wisperte: „Komm schon Yume, ich nehme dich mit!“
Wieder wollte sie antworten, sich wehren, doch ihr Körper war versteinert, genauso wie ihre Stimme. Die Stimme des Wesens war wie eine frisch geschliffene Klinge des Mittelalters. Sie durchschnitt alles. Yumes Kopf schmerzte immer noch, doch sie konnte nichts machen. Sie hatte einfach nur Angst. Was würde dieses Etwas mit ihr machen? Würde es sie wirklich mitnehmen?
„Weißt du was ich bin?“, fragte das Wesen höhnisch. Tiefe Wut und unendlicher Hass lagen in seiner Stimme und untermalten sein bedrohliches Aussehen. Er wartete eine Antwort nicht mal ab, es interessierte ihn nicht, was das Mädchen dachte, er wollte sie einfach nur quälen.
„Ich bin ein Vampir!“, brüllte er ihr so laut ins Ohr dass sie aufschrie. Doch ihre Stimme spielte nicht mit, sie gehorchte ihr immer noch nicht und gab keinen Laut von sich. Es blieb also nur die Geste des Schreiens übrig, doch das interessierte den Vampir wenig.
„Mein Name ist Caída. Komm jetzt mit mir!“, rief er mit seinem verrückten Lachen. Es klang als wäre er geisteskrank, doch er war bei vollem Bewusstsein und sein einziges Verlangen war der endgültige Sieg über Yume. Sie konnte sich nicht mehr wehren, er hatte sie versteinert, sie konnte nicht mehr reden, er hatte ihre Lunge paralysiert, er hatte ihr alles genommen und dennoch gab er nicht auf.
Wütend packte Caída das hilflose Mädchen am Kragen und brüllte mit tiefer, sonorer Stimme ob sie ihn nicht gehört habe. Yume nickte jedoch nur. Angst überkam sie wieder. Wo wollte er sie hin mitnehmen? Warum wollte er das tun? Existierte er überhaupt, oder war auch er nur eine Einbildung ihrer Fantasie. Warum hatte ihre Mutter sie nicht schreien gehört? Warum hatte sie ihn nicht schreien gehört? So viele Fragen stellten sich Yume. Ihr Körper wurde von Unwissen, Angst und Panik beherrscht.
Caída zog sie näher an sich heran. Er hauchte ihr ins Ohr, dass sie nun lieber ruhig sein sollte und hob sie dann mit einem einfachen Schwung hoch. Er musste unglaubliche Kräfte haben. Er lief, Yume auf dem Arm, auf das Fenster zu, holte mit seinem linken Arm aus und schlug einmal mit der Faust dagegen. Sofort splitterte das Fenster und die Einzelteile fielen unsanft zu Boden. Nur noch einzelne Fetzten des Glases hingen im Rahmen und baumelten am seidenen Faden. 
Dass ihre Mutter das alles nicht hörte wunderte Yume. Wieder wollte sie schreien, um Hilfe flehen, sie wollte nicht entführt werden, doch es schien nichts zu geben, dass Caída daran hindern könnte sie mitzunehmen. Eine Träne kullerte ihre Wange hinab, doch der Vampir achtete gar nicht darauf.
Waghalsig kletterte er aus dem Fenster uns stellte sich mutig auf das äußere Fensterbrett. Was würde er nun tun? Sich in eine Fledermaus verwandeln? 
Plötzlich drehte sich alles um Yume herum und ihr wurde schwindelig. Ihr Kopf war nun auf den Boden gerichtet und der Wind zog scharf an ihren Seiten vorbei. Caída war einfach von der Fensterbank gesprungen. Sie kamen dem Boden näher und näher, gleich würden sie aufprallen. Die Angst vor dem Tod kochte ihn Yume hoch und auf einmal wurde ihr schwarz vor Augen. Sie spürte nur noch wie der Sturz urplötzlich aufgefangen wurde und sie nun langsam wieder an Höhe gewannen.

~



Ein leises, andauerndes Knistern weckte Yume. Sie öffnete die Augen und sah einen strahlenden blauen Himmel. Wo war sie hier? Was knisterte so? Was ist am Morgen passiert? Nahm das mit den Fragen denn gar kein Ende? Yume fühlte sich schwach und erschöpft, noch bevor sie sich umsah schloss sie die Augen wieder und konzentrierte sich auf ihre anderen Sinne. Sie roch einige Anzeichen auf Regen und… Feuer. Das erklärte wohl das Knistern, jemand hatte ein Lagerfeuer angemacht. Das Mädchen wusste nicht wer, doch sie war viel zu erschöpft um sich auch nur umzudrehen, von daher beließ sie es bei der Frage und suchte nicht nach einer Antwort. Sie begann etwas zu fühlen. Sie lag im Gras, es war noch etwas feucht vom Morgentau wahrscheinlich.
Angestrengt öffnete Yume wieder die Augen und drehte sich nach rechts. Sie sah einen großen Busch mit dunkelgrünen, kleinen Blättern. Mehr nicht. Jemand hatte sie wohl direkt neben dieses Gewächs plaziert. Gespannt und auch etwas ängstlich drehte sie sich zur anderen Seite um. Dort sah sie ein kleines Lagerfeuer. Dahinter erblickte sie eine endlose Wiese, sie waren also auf dem Land. Vorsichtig richtete Yume ihren Oberkörper auf. Dabei durchfuhren sie höllische Schmerzen, vor allem in der Leiste. Gequält kniff sie ihre Augen zusammen, doch sie überwand die Auswirkungen der Wunden, die sie mittlerweile an Rücken und Beinen entdeckt hatte. Was hatte sie hier verloren? Verstohlen schaute sie wieder nach rechts und bemerkte einige dicht aneinander stehende Bäume, umgeben von tiefem Dickicht. Dies schien wohl ein Waldrand zu sein. Das Mädchen runzelte mit der Stirn und grübelte wo es einen ähnlichen Waldrand gab. In Gedanken versunken drehte sie sich um und sah wieder die endlose Wiese. Selbst wenn sie sich anstrengte erkannte sie kein Ende der Grasfläche. 
„Na, schon wach?“, krächzte eine tiefe, raue Stimme, gefolgt von einem leisen, kaum hörbaren, höhnischen Lachen. Yume wand ihren Kopf in die Richtung, aus der sie glaubte die Stimme gehört zu haben. Sie drehe sich komplett um und schrie im nächsten Moment aus voller Kraft. Dort saß wieder dieser Vampir. Jetzt kamen die Erinnerungen wieder in ihre hoch, heute Morgen wurde sie entführt von diesem Vampir Caída. Das schien er zu sein. Er legte ihr einen Finger auf den Mund und zischte drohend. Sie sollte wohl aufhören zu schreiben. Diesen Befehl befolgte sie ohne Widerworte.
„Warum bin ich hier?“, fragte Yume verzweifelt. Ihre Stimme war sehr belegt und während sie sprach schaute sie Caída nicht an. Sie hatte große Angst vor ihm. Was wenn er ihr etwas tun würde? Was wenn er sie angreifen würde? Oder noch schlimmer… Wenn er ihr Blut saugen würde. Das konnten Vampire doch. Yume hatte einmal diesen süßen Film gesehen, wo auch ein kleiner, netter Vampir vorkam. Der konnte Blut saugen.
„Unwichtig. Das würdest du nicht verstehen meine Kleine. Du bist zwar schon stolze neun Jahre alt, aber trotzdem viel zu jung um zu begreifen was heute Morgen geschehen ist“, antwortete der Vampir ruhig. Doch wieder ertönte dieses leicht überhörbare, fiese Lachen. Was Yume nicht erwartet hätte, dass Caída überhaupt eine Auskunft geben würde, wenn auch eine kleine, unwichtige.
„Wo sind wir?“, fragte Yume traurig. Das war das, was sie am meisten interessierte. Erwartungsvoll blickte sie dem Vampir auf die Zähne, welche eine sehr hypnotisierende Wirkung auf sie hatten. 
„Am Waldrand, fernab deines zu Hauses. Und jetzt sei ruhig, ich warte auf die Anderen!“, entgegnete der Vampir mürrisch.
Schon wieder ein Rätsel. Welche Anderen? Was meinte er damit? Yume konnte kaum noch klar denken, doch mittlerweile interessierte es sie gar nicht mehr, was Caída von ihr dachte, deshalb fragte sie ihn noch etwas.
„Welche Anderen?“
Genervte drehte er seinen Kopf zu ihr und schaute ihr mit seinem eiskalten Blick böse in die Augen. Die roten Pupillen durchbohrten sie und ihr wurde ein Wenig schwindelig. 
Caída öffnete den Mund, als wollte er Wort formen, doch er zögerte. Warum? Hatte er Angst, dass Yume dadurch etwas Wichtiges erfahren würde? Doch bevor sie diesen Gedanken zu Ende denken konnte wurde sie wieder von ihm überrumpelt.
„Ein paar andere Vampire. Wir müssen dich von ihr fern halten“, antwortete er, wobei der letzte Satz mehr gemurmelt als Gesprochen war. 
Einen Moment lang herrschte Stille, doch plötzlich schnellte Caída herab, griff mit seinen Händen an ihre Schultern und schlug seinen Kopf an ihren Hals. Ein unglaublicher Schmerz durchfuhr sie, als der Vampir sein spitzten Zähne durch ihre Haut an ihre Adern bohrte. Sie wurde gebissen – von einem Vampir.Yume wollte schreien, wegrennen, sie hatte den Impuls Caída zu schlagen, doch bevor sie auch nur einem dieses Verlangens nachkommen konnte, wurde sie schon wieder ohnmächtig und verlor erneut ihr Bewusstsein.