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Kapitel VI
Waking Up
Ein Labyrinth ohne Ausgang
Ist wie ein Leben ohne Tod
Doch Beides kann der Wahrheit entsprechen
Der Tod ist der Ausgang, und der kommt zuletzt

Die völlige Stille umgab sie, als sie ihre
Augen öffnete. Alles was sie sah war eine verschwommene Mischung der Farben blau, weiß und grün, mehr konnte sie nicht erkennen. Ihr Kopf brummte und sie fühlte sich sehr schwach. Sie glaubt, dass
sie nicht mal genug Kraft hatte um sich aufzurichten, also versuchte sie es gar nicht erst. Es war dunkel in ihrer Umgebung, wieder einmal wusste sie nicht wo sie war. Doch im Moment trat das
Unwissen in den Hintergrund und wurde von den höllischen Schmerzen abgelöst, die nun langsam wiederkehrten. Es war als wären sie nie weggewesen. Ihr Hals brannte tierisch und sie hatte das Gefühl sie
würde bluten. Aber so war es nicht. Sie hörte ihr Herz schlagen, so ruhig war es. Das wunderte sie und sie überlegte, ob sie auch ihr Blut rauschen hören würde. Sie strengte sich an und lauschte in
die Welt hinein, doch das einzige was sie vernahm war das rhythmische Schlagen ihres Herzes. Könnte es denn sein, dass? Nein, daran wollte sie gar nicht denken…
„Guten Morgen Yume. Hast du gut geschlafen?“ Ein bleiches Gesicht, mit blutorten Augen und spitzen Zähnen tauchte auf einmal neben ihr auf. Caída war also auch noch hier.
„Spar dir die Mühe“, hauchte Yume zurückhaltend und kaum hörbar, doch der Vampir hatte, wie wahrscheinlich jeder seiner Art ein fantastisches Gehör, somit war ihm diese Bemerkung nicht entgangen. Er
schmunzelte und blickte sie dann etwas wehmütig an.
„Es war einen Versuch wert!“, brachte er mit kratziger Stimme hervor, „Habe ich dir schon meine Schwester vorgestellt?“
Überrascht versuchte Yume sich aufzurichten, bisher lag sie noch, Caída hatte sie zuvor über sie gelehnt. Doch nun hatte er ihr Interesse geweckt. Er hatte also eine Schwester…
„Nein“, stotterte Yume kurz und knapp und blickte beschämt auf sich selbst herab, als sie bemerkte, dass ihr sogar zum Aufstehen die Kraft fehlte.
Einen Moment lang war es ruhig, Caída wusste entweder keine Antwort, oder er hielt es nicht für nötig, ihre eine zu geben. Doch da öffnete er langsam seinen Mund und sprach weiter.
„Vampire altern. Sehr schnell, schneller als du denkst, Yume.“
Was meinte er damit? Sie holte Luft im ihn zu fragen, doch er stand auf und verschwand bemerkungslos. Yume wusste nicht wohin er gegangen war, sie konnte alles immer noch nicht richtig erkennen. Sie
glaubte die Kronen von hohen Bäumen erkennen zu können, dazwischen ab und an etwas blauen Himmel, der durch die dunkelgrüne Decke strahlte. Waren sie nun also im Wald?
Yume griff sich verwirrt an den Hals und fuhr im nächsten Moment zusammen. Es war wie ein Stromschlag der sie durchfuhr als sie ihren Hals berührte. Sie fuhr erneut langsam mit ihren Finger darüber
und spürte eine große Wunde. Sie bestand aus vier kleineren, fein säuberlich angeordneten, verkrusteten Löchern. Von der Form her ähnelte es einem Biss… Sie erinnerte sich! Gestern, oder noch später,
sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, wurde sie von Caída gebissen und fiel darauf in Ohnmacht. Wut brauste in ihr auf und das Verlangen ihn zu schlagen kehrte zurück und begann ihren Körper zu
dominieren. Wäre sie nicht so erschöpft gewesen, hätte sie wahrscheinlich nichts mehr halten können loszulaufen und den Vampir zu suchen. Doch sie konnte sich nicht mal richtig Aufsetzten. Schmerzen
paralysierten ihren Körper für einen Moment, als sie ihre Arme nach hinter schob, sodass sie ihr Oberkörper etwas aufrichtete. Nun konnte sie, nachdem sie sich von dem Stechen erholt hatte, ihre
Umgebung überprüfen.
Yume behielt Recht mit ihrer Vermutung, sie befand sich in einem tiefen Wald. Genauer gesagt lag sie mit dem Rücken an einen großen Baum gelehnt, von Moos umgeben, im feuchten Laub. Um sie herum
standen eine Menge Bäume, die von Gewächsen wie Beerensträuchern umringt wurden. Sie kannte diesen Ort nicht.
„Caída? Ich weiß dass du hier bist!“ Ihre hohe Stimme schallte durch die Vegetation und kam von allen Seiten wieder zurück. Sie wartete einen Moment, doch nichts regte sich, Caída wollte sie nicht
zeigen. Oder er war wirklich nicht hier. Aber wie weit kann ein Vampir in der kurzen Zeit kommen?
Yume kratzte sich verwirrt den Kopf. Die letzten Tage waren nicht so gelaufen wie sie es erwartet hatte und sowieso war das alles was gerade passierte schwer vorstellbar. Geheim hoffte das Mädchen
inständig darauf, dass dies alles nur ein Traum war und sie bald in ihrem Bett erwachen würde. Ohne blaue Menschen in der Küche, ohne Blut an der Türklinke. Ohne Kratzer an ihrem Fenster und ohne ein
Tagebuch, dass zur Hälfte in Flammen steht. Auch Caída sollte nur ein Traum sein. Aber es schien doch alles sehr real und das bereitete dem Mädchen große Angst. Sie vermisste ihre Mama und ihren
Papa, zu gerne würde sie sich gerade an ihre Eltern kuschel und einfach nur ihre Nähe genießen, den Duft der Beiden einatmen, die Augen schließen und an nichts denken. Doch das war ihr nicht möglich,
sie wurde von einem Vampir gebissen und mutierte wohl selbst gerade zu einem seines Gleichen. Doch gerade war ihr alles gleichgültig. Sie fühlte sich leer, schwach und unnütz. Selbst wenn Caída sie
jetzt umbringen wollte, würde sie sich wahrscheinlich nicht wehren. Ihr war einfach nur alles egal, sie hatte nichts mehr für das es sich lohnte zu kämpfen, zu kämpfen um das Leben.
Vorsichtig richtete sich Yume ein weiteres Stück auf. Dieses Mal waren die Schmerzen nicht ganz so schlimm und sie versuchte ganz aufzustehen. Es gelang ihr zwar, doch direkt darauf musste sie
erstmal verschnaufen, dieser Kraftaufwand hatte sie ziemlich erschöpft. Wie konnte eine kleine Wunde am Hals so großen Schaden anrichten? Oder war es doch eher die Tatsache, dass ihr Körper
wahrscheinlich völlig befreit von Blut war?
Doch Yume wollte sich nicht einfach geschlagen geben. Dann hatte Caída sie eben gebissen, sie würde das Beste draus machen und die neuen Kräfte nutzten. Wenn sie diese überhaupt schon hatte. Aber
eines stand fest, das Mädchen hatte einen Entschluss gefasst – Sie würde den Vampir nun suchen und eine Erklärung für den Biss verlangen. Also nahm sie all ihren Mut zusammen und lief blindlings in
eine Richtung los, von der sie glaubte dass dies die Richtung sei in die er verschwunden war.
Sie trug immer noch dieselben Klamotten wie zuvor. Eine schwarze Hose aus dem Material einer Jeans, ein weißes T-Shit und eine weiße Strickjacke, sowie ein paar Lederschuhe. Sie war froh, dass sie
das trug was sie hier hatte. Ohne Schuhe zum Beispiel wäre es unmöglich durch diesen Wald zu laufen. Überall waren spitze Steine am Boden verteilt, hätte sie ihre Schuhe nicht an, wären nun schon
Löcher in ihren Füßen.
So wanderte Yume also weiter durch den tiefen Wald, auf der Suche nach Caída. Sie hoffte ihn bald zu finden, denn langsam begannen ihr wieder die Kräfte zu schwinden.
Seit einem gefühltem, halben Tag irrte Yume jetzt schon durch diesen Wald, auf der Suche nach dem Vampir der sie gebissen hatte. Sie suchte Antworten auf ihre Fragen. Wo war sie hier? Warum war sie
hier? Vor wem musste er sie verstecken? Warum musste er sie verstecken? Warum hatte er sie gebissen? Wer war seine Schwester? Sie hätte ein ganzes Buch voller Fragen schreiben können. Doch am
wichtigsten war ihr diese eine Frage: Wann wache sie wieder auf? Diese Frage wandelte ihr immer und immer wieder durch den Kopf, einzig und allein der Sinn dazu existierte nicht. Sie würde nicht
aufwachen, das war ihr bewusst, doch trotzdem hoffte sie die ganze Zeit darauf, schweißgebadet in ihrem Bett zu liegen und jeden Moment von ihrer Mutter geweckt zu werden.
Zu lange lief sie nun schon kopflos und ohne Orientierung durch diesen ewigen Urwald, auf der Suche nach einem Ausgang. Ihr wahres Ziel hatte sie schon aus den Augen verloren, doch was ihr gerade
viel mehr auffiel. Sie war gewachsen. Sie war unglaublich gewachsen. Mindestens sieben Zentimeter, wenn nicht sogar noch mehr. Das wunderte sie schon, doch wieder ereilte sie ein schrecklicher
Verdacht.
Was hatte Caída als letztes gesagt…? „Vampire altern. Sehr schnell, schneller als du denkst, Yume.“
Das waren seine Worte. Sie war sich nicht sicher was das zu bedeuten hatte, doch noch weniger warum er ihr das überhaupt gesagt hatte. Das Mädchen wusste nur eines. Er hatte sie gebissen, und die
logische Schlussfolgerung daraus wäre eine Verwandlung. Eine Verwandlung in einen Vampir. Ein Schauder lief ihr bei diesem Gedanken den Rücken hinunter. Das konnte doch unmöglich die Wahrheit sein?
Vielleich hatte er ihr ja gar nicht das Blut ausgesaugt. Vielleicht hatte er sich einfach nur gebissen um sie zu schocken und ruhig zu stellen. Jedoch wusste sie selbst, dass nur eine minimale Chance
bestand, dass dem so wäre.
Es wurde langsam dunkel und Yume war noch immer nicht fündig geworden. Nun wurde es kalt, die Sonne war vollends verschwunden, nach diesem langen, anstrengenden Tag und dem Mond gewichen, der mit
seiner bleichen Farbe, gedämpftes Licht spendete. Ohne dieses wäre sie verloren, denn überall im Boden waren Wurzeln und Steine, über die sie mit Sicherheit gestolpert wäre, würde der Mond ihr nicht
das Licht spenden. Sie hatte ja schon Mühe mit dem Mond alles zu erkennen, was würde sie dann nur ohne machen?
Sie wurde traurig und bekam Angst. Es war Nacht und sie irrte einsam durch einen finsteren Wald, auf der Suche nach einem Vampir der ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit nur Schmerzen zufügen würde. Wäre
die Angst nicht so unglaublich groß gewesen, hätte sie sicherlich über ihre irrsinnige Lage lachen können. Sie suchte etwas, das ihr schaden würde, doch trotzdem, Caída war ihr zurzeit lieber als der
dunkle Wald, der sie mit seiner Finsternis verschluckte. Die Angst hatte ihre eiskalten, langen Finger um sie gewandt und drückte nun so fest zu, dass sie hätte schreien können, wäre noch Luft in
ihren Lungen vorhanden. Sie wollte nichts anderes als hier weg, denn umso später es wurde, desto mehr wuchs ihre Panik. Überall hörte sie gruselige Geräusche und ihre Lauftempo nahm mit der Zeit zu,
sie wollte immer so schnell wie es möglich war von einem Ort weg, mit dem Bewusstsein dass es an der nächsten Stelle genauso sein würde. Langsam wurde sie auch müde, doch die Vorstellung hier,
umgeben von Tieren und anderen Lebewesen von denen sie lieber gar nichts wissen wollte, verwischte ihre Verlangen nach Schlaf jedes Mal aufs Neue und warf hingegen mit Farbklecksen der Angst um sich.
Wie sollte sie diese Nacht nur überleben?
Immer noch rannte sie durch das Dickicht, ihre Beine waren voller kleiner Wunden, die von Rosensträuchern oder Ähnlichen kamen. Ihre Schuhe hatten eine matschbraune Farbe angenommen, genauso wie ihre
Hose. Einzig und allein ihre Jacke war halbwegs in Ordnung, doch etwas störte sie. Die Jacke war plötzlich zu klein. Schon seit sie laosgelaufen waren guckte ein ordentliches Stück ihres
kreidebleichen Bauches hervor. Mittlerweile war dieser Teil ihres Körpers so klar, dass sie meinte er wäre erfroren und abgestorben. Auch an ihren Beinen fehlte ein Stück Hose und so konnte man ihre
Knöchel über den Füßen komplett sehen. Der eisige Wind der durch das Labyrinth aus Bäumen pfiff verschlimmerte ihre Lage nur noch.
Jetzt war es wirklich stockdunkel, was auch daran lag, dass eine Hand voll Wolken den Mond bedeckten. Die Angst in ihrem Körper könnte nun nicht mehr höher sein, das war einfach nur unmöglich. Sie
zitterte am ganzen Leib und das nicht nur wegen der Kälte, ihre Zähne klapperten und ihre Augen wechselten panischen immer wieder von links nach rechts, auch wenn es wenig Effekt hatte, sie erkannte
eh nichts.
Sie war nun schon öfters gestürzt und hatte sich nun auch am Oberkörper und an den Armen tiefe Wunden zugezogen. Ihr Schädel brummte und ihre Wahrnehmung wurde immer schlechter. Ihre Ohren waren zu
und sie hörte nur noch bedingt, was um sie herum passierte. Ihre Augen konnte sie gerade sowieso nicht benutzten, dafür war es viel zu finster. Gerüche gab es nur Wenige, es roch etwas feucht, als
würde es bald regnen. Das war genau das was noch fehlte.
Erschöpft stoppte Yume zu rennen und lehnte sich gegen den nächstgelegenen Baum, nachdem sie ertastet hatte, dass dieser auch wirklich dort stand und ihre Augen sie nicht getäuscht hatten. Ohne Kraft
setzte sie sich hin und drückte ihren Rücken an den Baumstamm, während sie leise weiter schnaufte. Es war ihr egal ob hier Monster, Tiere oder weiß Gott was kreuchte, sie brauchte einfach nur Ruhe
und neue Kraft. Sie atmete nun wieder halbwegs ruhig und schloss die Augen. Sie genoss den Moment der Stille, bis sie ein entferntes Rascheln vernahm. Sie öffnete ihre Augen nicht, sondern versuchte
sich auf ihre Ohren zu konzentrieren. Das Rascheln kam näher und wurde lauter, ein Lebewesen schien sich auf sie zu zubewegen. Ganz abrupt endete der Geräuschpegel und es war still. Das Mädchen
glaubte ein leises Atmen zu hören und öffnete ihre Augen.
„Hallo Yume! Wir haben uns aber lange nicht gesehen“, sagte eine freundliche Stimme.
