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Kapitel VIII
Klingen am Waldrand


Wenn Schwerter im Sonnenlicht glitzern
Und Krallen die Körper aufschlitzen
Die Kinder sich schreiend verstecken
Dann ist es Zeit, den Feind zu entdecken



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Die Prophezeiung erfüllte sich endlich. Das Mädchen mit dem Vampir Biss, sie wird kommen um uns zu retten, sie wird die Prinzessin befreien. Oder? Konnte dieses kleine Kind wirklich ein ganzes Land, nein, Fuykai war eine ganze Welt, allein retten? Was wenn sie scheitern würde? Dann wäre unsere Art für alle Zeit verloren. Andereseits haben wir nur diese eine Möglichkeit, nur diese Eine. Wir müssen sie einfach nur nutzen.

„Yume, Kleines. Wach auf!“ Lunea legte ihre Hand auf die Schulter eines kleinen Mädchens, welches auf einem Stück Moos am Waldrand lag und noch schlief. Es war noch nicht sehr spät, die Sonne war gerade erst aufgegangen und doch hatte sie es geschafft in dieser kurzen Zeit entspannende Wärme und gleichzeitig kühlenden Schatten zu erbauen. Die Sonne war, wie so vieles andere auf dieser Welt, einzigartig, sie war so schön anzusehen. In Fuykai gab es keine Sonne mehr, weshalb Lunea jeden Moment genoss, in dem sie in der Nähe der gelben Scheibe verbrachte. Das Heer der Schatten und ihres Fürsten hatte die Sonne zerstört, sodass sie nie wieder scheinen konnte und die eisige Welt nie wieder erwärmen konnte. 
Yume lies nur ein leises Grummeln hören, bevor sie langsam die Augen öffnete und überrascht in die Augen der blauen Frau blickte. Natürlich! Sie hatte sich gestern im Wald verirrt und Lunea hatte sie aufgesammelt und mitgenommen. Sie musste fast schon schmunzeln über das, was ihr in den letzten Tagen alles passiert war. Sie wurde von einem Vampir entführt, sie wurde von einem Vampir gebissen und letztendlich hat eine blaue Kreatur, die sie bisher nur einmal gesehen hatte, mitgenommen. Nun sollte sie, zusammen mit eben dieser, in eine ihr völlig fremden Welt eintauchen und dort auch noch eine Art Prophezeiung spielen. Gestern Abend hatte Yume ihrer Begleiterin ein wenig zugehört, während sie an einem kleinen Feuer leise mit sich selbst gesprochen hatte. Sie hatte etwas von Legenden und Prophezeiungen erzählt, doch bevor das Mädchen mehr herausfinden konnte, fiele ihr bereits die Augen zu und binnen weniger Momente hatte sie sich der Müdigkeit vollends ausgesetzt und war in einen tiefen und erholsamen Schlaf gefallen. Nun war sie wieder erwacht und nichts hatte sich verändert, das ganze war kein Traum, es war echt.
„Lunea… Du sagtest wir gehen nach Fuykai“, begann Yume mit leicht zitternder, leiser Stimme zu reden, bevor sie auf ihre eigentliche Frage hinauskam. „Wie kommen wir dort denn hin?“ Ein Stein fiel dem Mädchen vom Herzen, als sie diese Wort endlich über ihre Lippen gebracht hatte, diese Frage lag ihr schon seit gestern Abend auf der Zunge, nur war sie zu erschöpft gewesen um überhaupt auch noch einen Laut von sich zu geben. Am heutigen Morgen ging es ihr schon besser, die neuen Kräfte, die sie über Nacht bekommen hatte, wollte sie direkt verwenden, weshalb warten nicht in Frage kam.
„Du wirst es nicht glauben, meine kleine, aber das Tor nach Fuykai liegt in deinem Zimmer!“, berichtete Lunea, plötzlich meinte Yume ein schwaches Glitzern in ihre Augen erkennen zu können. Doch bevor sie diesen Gedanken vertiefen konnte, erzählte ihre Begleiterin bereits weiter. „Der Weg nach Fuykai führt uns unter dein Bett.“
Für einen Moment lang herrschte Stille, weder Lunea, noch Yume trauten sich, auch nur einen Ton von sich zu geben. Perplex starrte das Mädchen die Frau an, als hätte sie gesagt, sie sei vom Mars. Nein, sie hatte gesagt, der Eingang nach Fuykai würde sich unter ihrem Bett befinden… Sie war sich nicht sicher, ob sie ihre Begleiterin richtig verstanden hatte, doch es gab kaum eine andere Möglichkeit, kaum andere Wörter, die diese hätte benutzten können, sie schien es wirklich todernst zu meinen. Mit ihrem bleichen Gesicht, welches in diesem Augenblick noch blasser als zuvor wirkte, blickte das Mädchen sie an und sah ihr tief in die Augen. Neben der unglaublichen Zuneigung, die sie Yume entgegen brachte, auch in ihren Augen, meinte das Mädchen einen Hauch von Verständnis für ihre Reaktion zu erkennen. Fragend blickte sie die Frau an.
„Glaub mir, ich sage dir nur die Wahrheit… Es gibt da aber noch etwas“, meinte Lunea, doch bevor sie weitersprechen konnte, verstummte sie. Yume blickte sich um, doch es war niemand da, der lauschen könnte, warum hatte sie dann wohl aufgehört zu reden. Sie schien eine Art Pause einzulegen, um ihre Gedanken zu ordnen, um sich die Wörter und Sätze so zu Recht zu legen, dass jedermann sie verstehen würde. Dieses Moment wollte ihr das Mädchen geben, weshalb sie einfach nur still auf dem Waldboden sitzen blieb und wartete. Ihre Geduld zahlte sich auch schon bald aus, denn schon nach ein paar Augenblicken holte die blaue Frau Luft und setzte ihre Erzählung fort. 
„Den Einlass Fremder, gewähren die Torwächter nur bei Vollmond. Und diesen haben wir erst wieder in einer Woche. Bis dahin könntest du schon… tot sein.“ Yume konnte plötzlich vollends nachvollziehen, warum Lunea eine Sprechpause eingelegt hatte, diese Nachrichten waren wirklich nicht gut und konnten für sie sogar das Ende bedeuten. Ein kleiner Schauer überfuhr sie und sie meinte zu fühlen, wie ihr Körper förmlich von einer Sekunde zur Anderen etwas wuchs, nur um ihr zu zeigen, dass ihre Begleiterin die Wahrheit sagte. In ihren Augen bildeten sich leicht erkennbare Spuren der Angst, noch viel stärker als zuvor. Doch bevor sie nun über eine mögliche Lösung des Problems nachdenken konnte, kam ihr etwas anderes in den Kopf. Dieser Gedanke schob sich sekundenschnell vor alle anderen und nahm sie und ihr Denken vollkommen ein. Sie konnte nicht anders, sie musste es einfach aussprechen. 
„Was wenn Caída uns bis dahin findet?“, fragte Yume, ihre Stimme war belegt und ihre Körperhaltung glich der Ausstrahlung ihrer Augen, die pure Angst vor all dem, was gerade geschah, machte sich erkennbar und mit jedem Augenblick nahm diese etwas zu, da sie genau wusste, das ihr Leben nun eine Zeitbombe war. – Irgendwann, in absehbarer Zeit, würde sie explodieren. Wenn sie nichts unternahm würde sie sterben. 
„Nun, dann sind wir verloren…“

~



„Ich kann ihre Spuren sehen, sie sind hier entlang gelaufen!“, krächzte eine kratzig raue Stimme, dessen Klang am Waldrand hin und her schallte, es schien als wollte er gar kein Ende mehr finden. Doch wie alles einen Anfang hat, so hat alles auch ein Ende, deshalb wurde der erste Schall vom zweiten zerstört, wie eine Klinge fuhr die zweite, etwas höhere, feminine über die Umgebung und schnitt den Ton ihres Vorgängers ab.
„Wie weit sie sind sie noch entfernt?“
Mit prüfendem Blick musterte Caída seine Schwester. Sie hatte es schon wieder getan, sie hatte ihn erneut rumkommandiert, als wäre er irgendein Sklave, was hatte sie was er nicht hatte? Acroa hatte die gleichen wie glitzernden Zähne wie er, sie hatte die selben, scharfen Krallen wie er, ihre Augen waren genau so blutrot wie die seinen, wenngleich sich bei seinen immer wieder etwas braunes unter dem Rot zeigte. Sie war fast eine genau Kopie ihres Bruders, so wie sie eine Kopie eines jeden Vampires aus Fuykai war, sie sahen alle gleich aus. Dennoch genoss Acroa mehr Respekt als ihr Bruder Caída, obwohl dieser früher als seine Schwester geboren war. Doch lieber würde er ihr antworten und ihr gehorchen, als ihren Zorn mit zu erleben. Alles würde der Vampir mitmachen, doch dies war selbst ihm ein Wenig zu viel. 
„Sie werden nicht weit gekommen sein. Wenn wir uns beeilen, erreichen wir sie noch bevor die Sonne ganz oben am Himmel steht“, brachte Caída hervor. Er hatte mit einen seiner krallenbesetzten Finger ein paar Fußspuren auf einem langen Weg überprüft, die auf die Ariska Lunea hinwiesen. Sie war genau die Frau, die sie gesucht hatten. 
„Dann werden wir sie jetzt einholen!“ Es klang wie ein Befehl, als Acroa ihren Plan verkündete. Sie wollte Lunea und das Mädchen noch vor dem völligen Sonnenaufgang erreichen, wollte Rache üben und Ruhm einkehren. Ohne ihren Bruder zu beachten, begann die Vampir-Frau zu laufen, er ist in normalem Schritttempo. Doch mit jedem Schritt schien sie etwas schneller zu werden, Caída hatte sich ihrer Entscheidung einfach zu fügen, egal was er tun wollte. Er richtete sich auf und folgte ihr, den Gedanken an Rache hatte er nicht vergessen. Er wollte mehr Blut!

~



„Sie kommen!“, zischte Lunea und sofort sprang Yume auf. Überrascht drehte sie ihren Kopf in die Richtung der Frau und blickte ihr fragend ins Gesicht. Wer kam? Was wollten sie? Die Beiden hatten doch nichts bei sich, keinen goldenen Schmuck, keine Waffen, nichts was für Räuber hätte interessant sein können.
„Caída. Doch er ist nicht allein…“, verhieß ihre Begleiterin und zückte ein silbernes Schwert aus einer Scheide, die an ihrem Ledergürtel hing. Bis eben hatte Yume diese Scheide gar nicht bemerkt, doch nun fiel ihr doch auf, dass diese vielleicht sogar noch größer als gewöhnlich war. In ihr hatte bis vor einem Moment dieses majestätische Schwert gesteckt, welches ihre Begleiterin nun in den Händen hielt. Es hatte eine gewöhnliche, zweikantige Klinge aus Stahl, die perfekt geschliffen war um Gegnern mit einem gezielten Schnitt den Gar aus zu machen. Der Griff wurde überdeckt von einem Schutz aus Leder und auch der Griff hatte nichts besonderes, doch am Ende des Schwerts, an der Unterseite des Griffes, hing ein kleiner Edelstein in einer Verankerung aus Gold, der in grünen und blauen Farben aufleuchtete. Sie wusste nicht wieso, aber der Anblick dieser Waffe faszinierte sie.
„Angriff ist die beste Verteidung!“, murmelte Lunea, wohl eher zu sich selbst, als zu Yume. Sie nahm es in beide Hände und wartete scheinbar darauf, dass Caída hier aufkreuzen würde. Genau wie er, wollte sie Rache üben, Rache an dem grausamen Mord an ihre Mutter. Der Vampir hatte ihr einfach den Brustkorb aufgeschlitzt und tot war sie. Von einen Wimpernschlag auf den anderen. Doch die Frau las dieses Verbrechen nicht auf sich sitzen, sie würde nicht aufgeben, bis der Mörder bekommen würde was er verdient hatte. 
„Ich werde mich mal lieber irgendwo im Gebüsch verstecken“, entgegnete Yume trocken, eine Antwort schien sie nicht abzuwarten, da die Frage ihrer Meinung nach mehr als rhetorisch war, doch trotzdem musste die Frau darauf antworten. Sie sollte sich irgendwo verstecken, wo sie Lunea sehen konnte, dies sei sehr wichtig. Diesen Ratschlag legte sich das Mädchen mit Freunden ans Herz und verschwand am Waldrand in einen Brombeerstrauch, während die Gefahr immer näher kam. Mittlerweile hatte auch Lunea etwas Angst, wer waren die Vampire, mit denen Caída herkam. Sie wusste er würde nicht allein kommen, doch seine Gehilfen kannte sie noch nicht. Oder war er nur ein Gehilfe? Sie wollte weiter überlegen, da setzte sich ein beißender Geruch in ihrer Nase fest und setzte alles andere aus. Dieser Geruch war alt, er wies jedoch auch einen großen Anteil an dem Geschmack von Blut auf. Sie mussten hier ganz in der Nähe sein. Langsam wurde die Frau nervöser, immer wieder sah sie sich um, um zu prüfen, ob er vielleicht doch schon da war. Immer wieder drehte sie sich mit einem gewaltigen Herzklopfen um, nur damit sie feststellen konnte, dass sie hier allein war und niemand auf sie lauerte. Nur irgendwo im Gebüsch lag jemand, die kleine Yume, die sie um jeden Preis beschützen musste, selbst wenn es ihr Leben kosten würde, sie hatte sie ewige Treue geschworen.
Doch da! Es war nur ganz leise, doch trotzdem hatte Lunea das Geräusch mit ihrem feinen Gehör mitbekommen. Es war das knacken eines kleines Astes, wenn dieser unter den Füßen eines jeden zerbrach. Caída war hier, hier ganz in der Nähe. 
„Komm raus, du Mörder, zeig dein Gesicht!“, brüllte die Frau in den Morgen hinein, doch eine Antwort erhielt sie nicht. Sie wartete noch einen Moment, doch niemand bewegte sich, niemand zeigte sich. Da holte die Frau mit ihrem Schwert aus, die Spitze der Klinge zeigte gegen die Sonne und spiegelte wild deren Strahlen wieder, während ihre Hände gen Himmel gerichtet waren, bereit dazu, die tödliche Waffe jederzeit herunter schnellen zu lassen. Sie rannte mit einem markerschütternden Kriegsschrei auf eine große Eiche zu, hinter der sie ihre Feinde vermutete, als ihre Stimme plötzlich verstummte und ihr Körper seine Spannung verlor, bis er mitten im Lauf in sich zusammensackte und beinahe geräuschlos auf dem Kiesuntergrund aufkam. Im Hintergrund konnte man nur einen dünnen, schnellen Schatten erkennen, der seinen linken Arm leicht angewinkelt ausgestreckt hatte. 
Über Luneas Halsrücken zog sich nun eine riesige Narbe und ihr Atem ging nur noch schwer, sie wurde sämtlicher, verfügbaren Kraft beraubt. Ein endlosher Schmerz durchfuhr sie und mit der letzten Kraft die ihr ihre Stimme noch bot, krächzte sie nur eine Warnung: „Yume. Bleib wo du bist!“ 
Doch es war zu spät, sie war bereits aufgesprungen und auf die verletzte Frau zugerannt.


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